KLIMAKENNZAHLEN 2.0: ECHTEN FORTSCHRITT BEI WIRTSCHAFT UND KLIMA MESSEN
Anleger haben in den letzten Jahren unterschiedliche Ansätze verfolgt, um ihre Portfolien klimaneutral zu gestalten. Der Grundgedanke dabei war, entweder zum Fortschritt im globalen Kampf gegen den Klimawandel beizutragen und/oder durch die Dekarbonisierung ihrer Portfolien Renditen zu erzielen. Sowohl die Inhaber der inestierten Vermögen, als auch die Asset Manager haben sich CO2-Reduktionsziele für ihre Portfolien gesetzt, in denen derzeit ein Vermögen von 72 Billionen USD verwaltet wird.1 Das ist eine beeindruckende Leistung und ein entscheidender Schritt in Richtung Netto-Null. Nach einigen Jahren dieser Bemühungen sollten wir betrachten, was wir aus diesem Ansatz gelernt haben und wo wir uns hin weiterentwickeln müssen. Durch das Management der Netto-Null-Ziele unserer eigenen Portfolien und die Analyse des CO2-Fußabdrucks von Kundenportfolien haben wir eine besondere Perspektive, um verschiedene Messansätze bewerten zu können: Welche Ergebnisse wurden erzielt, welche Erkenntnisse gewonnen? In diesem Artikel fassen wir einige dieser Beobachtungen zusammen. Wir erörtern, was wir aus unserer eigenen anfänglichen Arbeit sowie unserer Zusammenarbeit mit Kunden gelernt haben. Daraus leiten wir ab, wie ein „Klimamkennzahlen 2.0“-Ansatz aussehen kann.
Klimakennzahlen 1.0: Unbeabsichtigte Folgen von CO2-Reduktionszielen
Viele Vermögensinhaber und Asset Manager haben zunächst allgemeine Netto-Null-Ziele festgelegt, um den CO2-Ausstoß ihrer Positionen insgesamt zu reduzieren. Welche unbeabsichtigten Folgen dieser Ansatz haben kann, zeigen wir an drei Beobachtungen auf.
Erkenntnis 1: „Auf dem Papier zu dekarbonisieren“ ist zu einfach
Den CO2-Ausstoß auf Portfolioebene zu reduzieren, war ein logischer erster Schritt zum Erreichen von Netto-Null-Zielen. Die Reduktion lässt sich jedoch häufig leicht durch Verkäufe oder Sektorausrichtungen erreichen, besonders an den Public Markets.
Goldman Sachs Asset Management. Stand: September 2023. Basierend auf einen Beispielportfolio. Enthält Scope-1- und Scope-2-Emissionen. Nur zur Veranschaulichung.
Nach unserer Erfahrung sind CO2-Emissionen häufig in wenigen Sektoren oder sogar auf wenige emissionsintensive Unternehmen innerhalb dieser Sektoren konzentriert. Reduktionsziele auf Portfolioebene lassen sich daher relativ leicht erreichen, indem das Engagement in Sektoren mit geringem CO2-Ausstoß erhöht oder in Sektoren mit hohem CO2-Ausstoß verringert wird. Dadurch werden jedoch keine Emissionen vermieden und kein CO2 aus der Atmosphäre entfernt. Wenn Anleger nur auf Portfolioebene die historische CO2-Bilanz messen und Reduktionsziele setzen, nutzen sie keine der Chancen im Bereich der schwierigeren, aber notwendigen Innovationen und Transformationen. Aber gerade dort wird in den kommenden Jahren echte CO2-Reduktion stattfinden.
Erkenntnis 2: Reale Dekarbonisierung unterstützen
Rein auf der Basis historischer Daten ist es einfach, „auf dem Papier“ zu dekarbonisieren. Paradoxerweise kann dieser Ansatz jedoch im Widerspruch zu den Maßnahmen stehen, die für reale Auswirkungen erforderlich sind. Tatsächlich bieten die Regionen, Sektoren und Unternehmen mit den höchsten Emissionen auch die größten Möglichkeiten zur CO2-Reduktion. Schwer zu dekarbonisierende Bereiche sind für den Großteil des weltweiten Ausstoßes verantwortlich. Ihre erfolgreiche Dekarbonisierung wäre ein bedeutender Schritt zum Erreichen realer Reduktionsziele. Dazu müssten Anleger jedoch zu Beginn höhere CO2-Emissionen in Kauf nehmen. Für die Dekarbonisierung der Realwirtschaft muss in Übergangs- und Klimalösungen investiert werden, die oft emissionsintensiver sind (siehe Grafik unten). Mit CO2-Reduktionszielen auf Portfolioebene werden Investitionen in diese Branchen bestraft. Anleger laufen Gefahr, Sektoren, die tatsächlich dekarbonisiert werden müssen, nicht zu unterstützen.
Goldman Sachs Asset Management, basierend auf dem Universum des MSCI ACWI Investable Market Index. Stand: September 2023. Nur zur Veranschaulichung. Als „High Impact“ gelten Branchen, die mindestens eines der folgenden drei Kriterien erfüllen: Emissionsintensität gemessen an den Scope-1-, -2- und -3-Emissionen geteilt durch den Unternehmenswert einschließlich Barmitteln (EVIC) in den Top-25 %, >5 % Umsatz aus fossilen Energieträgern und Unternehmen mit wesentlichen Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen). Als „Klimalösungen“ gelten Unternehmen, deren Umsatz zu mehr als 50 % klimaschonend ist. Als „Netto-Null-konform“ gelten Unternehmen, die nach dem proprietären Framework von Goldman Sachs Asset Management auf Klimaneutralität ausgerichtet sind. Dies wird anhand von Zielen, Ambitionen, Offenlegungen, Dekarbonisierungsstrategie und Kapitalallokationsstrategie bewertet.
Lektion 3: „Aggregationsgefahren“ – Lärm übertönt das Signal
Werden Daten von einem oder mehreren Portfolien aggregiert, verschleiert das oft tatsächliche Veränderungen bei angestrebten Verbesserungen der CO2-Bilanz von Unternehmen. Eine Aufschlüsselung der Emissionsquellen zeigt, dass die Veränderung über verschiedene Zeiträume eine Folge von meist nicht klimabezogenen Aspekten ist, wie Marktwertschwankungen und Portfolioentscheidungen (z. B. Verkauf, neue Positionen, Umschichtungen). Dieser Lärm kann das Signal übertönen, das für Investoren wichtig ist: die tatsächliche Veränderung der CO2-Effizienz von Unternehmen.
Goldman Sachs Asset Management, basierend auf dem S&P 500 Index. Stand: Oktober 2023. Nur zur Veranschaulichung. Die schwarzen Balken entsprechen der Portfoliointensität 2021 und 2022. Die Balken dazwischen stellen die Quellen der Veränderung von 2021 bis 2022 dar. Enthält Scope-1- und Scope-2-Emissionen.
Klimakennzahlen 2.0: Im Einklang mit realem Klimafortschritt
Welchen Ansatz können Anleger in Betracht ziehen, um die Herausforderungen zu vermeiden, die die Klimakennzahlen der ersten Stunde bergen? In der Investmentwelt gab es etliche Versuche, einen neuen Ansatz zu finden. Neue Klimakennzahlen sollen vermeiden, dass ein Reduktionsfokus auf Portfolioebene unbeabsichtigte Folgen hat und Investitionen in die Realwirtschaft abgestraft werden. Wir erläutern, wie ein Klimakennzahlen-Ansatz 2.0 aussehen kann.
Den Lärm vom eigentlichen Signal trennen und Fortschritte nach einem Bottom-up-Ansatz verfolgen
Statt Kennzahlen auf Portfolioebene zu bewerten, ist es effizienter und sinnvoller zu wissen, ob die einzelnen Investments in einem Portfolio CO2-effizienter werden (siehe Grafik oben). So können Anleger die gewünschten Veränderungen im Portfolio leichter erkennen und verfolgen. Das Abrücken von einem Ansatz auf Portfolioebene erfordert detailliertere Bottom-up-Analysen, um Fortschritte auf der granularsten Ebene jedes einzelnen Unternehmens zu beurteilen.
Ansätze wählen, die echte Dekarbonisierung messen, statt sie zu bestrafen
Ob die Dekarbonisierungsstrategien und -maßnahmen von Unternehmen in die richtige Richtung gehen, kann nur mit ganzheitlicheren Kennzahlen bewertet werden. Mit einer umfassenden Analyse der Absicht, der Glaubwürdigkeit der Planung und von Indikatoren für reale Investitionen können Anleger besser beurteilen, wer die potenziellen Übergangsgewinner sein werden. Wir haben ein eigenes Tool für eine zukunftsgerichtete Bewertung der Netto-Null-Ausrichtung von Portfolien entwickelt: langfristige Klimaambitionen, mittel- bis kurzfristige Ziele, Umsätze aus kohlenstoffärmeren Produkten und Dienstleistungen, Übereinstimmung der Kapitalallokationsstrategie mit dem Dekarbonisierungsplan und tatsächliche Investitionsausgaben in Bereichen mit niedrigem CO2-Ausstoß. Dazu werden sowohl zeitpunktbezogene als auch auf Dynamiken fokussierte Kennzahlen verwendet. So können wir anhand von Transparenz und Performance beurteilen, ob „High Impact“-Sektoren auf den Übergang vorbereitet sind. Anleger erhalten konkrete Maßnahmen für ihr Portfolio.
Unternehmen, die sich mit gezielten Schritten auf die Energiewende vorbereiten, erhalten Bewertungsprämien. Das Gegenteil passiert, wenn Unternehmen einfach nur mehr Informationen offenlegen. Greifbare, performanceorientierte Maßnahmen und Ergebnisse werden weitaus mehr belohnt als bloße Offenlegungen.2
FactSet, Goldman Sachs Global Investment Research. Getrimmtes Mittel der 12-Monats-Forward-, GICS2-sektorbezogenen EV/EBITDA-Prämien, ohne Finanzsektor, von Unternehmen im jeweiligen Quintil (Q1 ist das beste) des Performance-Rankings (siehe oben), MSCI ACWI, Jan. 2019 bis Sep. 2023. Unser Performance-Ranking bezieht sich auf Peers im GS Sustain Environmental & Social-Sektor des MSCI ACWI.
FactSet, Goldman Sachs Global Investment Research. Getrimmtes Mittel der 12-Monats-Forward-, GICS2-sektorbezogene EV/EBITDA-Prämien, ohne Finanzsektor, von Unternehmen im jeweiligen Quintil (Q1 ist das beste) des Transparenz-Rankings, MSCI ACWI, Jan. 2019 bis Sep. 2023. Unser Transparenz-Ranking ist sektoragnostisch und bezieht sich auf alle globalen Unternehmen im MSCI ACWI.
Neben der Nutzung ganzheitlicher Kennzahlen, die historische mit zukunftsorientierten, zeitpunktbezogenen und dynamikfokussierten Daten kombinieren, ändern Anleger auch, wie sie Emissionen berechnen. Damit wollen sie vermeiden, dass Investitionen in Übergangs- und Dekarbonisierungslösungen bestraft werden. Manche Anleger verfolgen separate transitions- und lösungsfokussierte Portfolien. Andere ziehen Emissionen ab, wenn Unternehmen die Anforderungen erfüllen, um als Klimalösung oder bereit für den Übergang zu gelten. Anleger nutzen diese Ansätze als praktischen Übergangsmechanismus. Sie können damit Emissionen auf Portfolioebene überwachen, ohne Investitionen in Dekarbonisierung zu bestrafen. Letztendlich müssen neue Messansätze entwickelt werden, damit Anleger die positiven Klimaauswirkungen von transitions- und lösungsfokussierten Unternehmen bewerten können.
Am Scheideweg: Ein dreigliedriger Ansatz für Klimaneutralität
Um echte Klimafortschritte zu erzielen, muss in drei Bereiche investiert werden:
Übergang
Der Weg zur Klimaneutralität wird lang sein. Selbst mit technologischen Durchbrüchen werden einige Bereiche noch eine Weile hohe Emissionen haben. Das wird sich erst ändern, wenn neue Technologien in großem Maßstab kosteneffektiv eingesetzt werden können, wie wir es schon bei der Solarstromerzeugung und bei Lithiumbatterien gesehen haben. Auf jeden Fall muss mehr investiert werden. Die besten Chancen, CO2 zu reduzieren und Renditen zu erzielen, finden Anleger wahrscheinlich dort, wo es CO2 gibt – indem sie den Übergang zur Klimaneutralität bei denjenigen emissionsintensiven Unternehmen beschleunigen, die dafür am besten aufgestellt sind.
Effizienz
Die Forschung zeigt, dass effizientere Unternehmen das Potenzial haben, ihre weniger effizienten Konkurrenten zu übertreffen.3 Je mehr Verbraucher, Firmenkäufer und Anleger auf die CO2-Bilanz von Unternehmen achten, desto mehr wird das zutreffen. Regierungen fordern mehr Offenlegungen und die Politik fördert kohlenstoffarme Lösungen (z. B. mit Steueranreizen durch den U.S. Inflation Reduction Act). In diesem Umfeld können effizientere Unternehmen ihre Gewinne und Margen steigern.
Lösung
Langfristig werden neue Lösungen für saubere Energie und die Dekarbonisierung anderer Teile der Wirtschaft gebraucht. Klimalösungen, denen dies gelingt, werden mit steigenden Umsätzen, Gewinnen und Börsenwerten belohnt. Die Private Markets sind gut aufgestellt, um diese langfristigen strukturellen Trends zu finanzieren. Sie bieten die Möglichkeit geschlossener Fonds und es gibt keinen Quartalberichtszyklus wie bei börsennotierten Unternehmen. Anbieter von Klimalösungen gibt es jedoch auch an den Public Markets, beispielsweise bei hochspezialisierten kleinen bis mittelständischen Unternehmen, sogenannten „Pure Plays“, und bei größeren Unternehmen, die ihr Umsatzpotenzial durch neue Geschäftsfelder steigern.
Anleger, die sowohl für ihre Portfolien als auch in der realen Welt Fortschritte erzielen wollen, brauchen Kennzahlen und Messmethoden, die mehr können. Sie müssen die Fortschritte emissionsintensiver Unternehmen hin zur Klimaneutralität, Effizienzverbesserungen in der gesamten Wirtschaft und Lösungen, die die Dekarbonisierung in anderen Bereichen vorantreiben, bewerten können.
1 Goldman Sachs Global Investment Research, „GS Sustain: The Net Zero Guide“ (Der Netto-Null-Leitfaden). Stand: 27. Juli 2022.
2 Goldman Sachs Global Investment Research, „GS Sustain: Net Zero Guide; Climate Transition Tool 2.0: Bridging gaps, enhancing sectoral scope, highlighting performance links“ (Der Netto-Null-Leitfaden; Klimawendetool 2.0: Lücken schließen, Sektorreichweite vergrößern, Performancezusammenhänge aufzeigen). Stand: 20. September 2023
3 Goldman Sachs Global Investment Research, „GS Sustain: Green Capex; Accelerating the Energy Transition“ (Klimaschonende Investitionen; die Energiewende beschleunigen). Stand: 13. Oktober 2022.