Rückblicke auf einen Ausflug in die KI
Das rasante Innovationstempo rund um generative KI (GenKI) zieht weiter an. Anleger sollten sich daher unbedingt anhören, welche einzigartigen Einblicke die Firmenlenker zu bieten haben, die diesen Wandel vorantreiben. In diesem Sinne reisten wir kürzlich an die US-Westküste, um mit Führungskräften von zwanzig börsennotierten und in Privatbesitz befindlichen Technologieunternehmen aller Marktkapitalisierungen zu sprechen. Manche entwickeln GenKI-Modelle oder stellen die Halbleiter her, die für die Ausführung von KI-Workloads benötigt werden. Andere hosten als Softwareunternehmen KI-Workloads oder integrieren generative KI in ihre Produkte.
Diese Erkenntnisse haben wir von unserer Reise mitgebracht:
GenKI treibt einen nachhaltigen Technologiezyklus voran, befindet sich aber noch in einem frühen Stadium
Eine besonders wichtige Erkenntnis, die wir gewonnen haben, ist diese: Wir stehen bei der Entwicklung von Frontier-Modellen noch am Anfang und benötigen immense Investitionen in die GenKI-Infrastruktur. Frontier-Modelle sind die fortschrittlichsten und leistungsfähigsten großen Sprachmodelle, die derzeit entwickelt werden. Zu den Unternehmen gehören Google, OpenAI, Anthropic und Meta mit den Modellen Gemini, ChatGPT, Claude und Llama. Jedes dieser Unternehmen betonte den rasanten Fortschritt, den sie mit ihren GenKI-Fähigkeiten erzielen. Sie wiesen jedoch auch darauf hin, dass sich ihre Frontier-Modelle nicht auf „Master“- oder „PhD“-, sondern noch auf „Bachelor“-Niveau, sprich: in einem frühen Entwicklungsstadium, befinden. Bisher hat die generative KI alle 12 bis 18 Monate einen deutlichen Leistungssprung gemacht und wird dies voraussichtlich auch weiterhin tun. Die Leistungsindikatoren für Frontier-Modelle messen Intelligenz und Latenz. Beide haben sich nicht nur durch Fortschritte in der Rechenleistung verbessert. Auch die Software, die zum Trainieren der Modelle verwendet wird, ist effizienter geworden. NVIDIA geht davon aus, dass seine Grafikprozessoren (GPU) in den nächsten zehn Jahren mit derselben Chipinfrastruktur eine Million Mal effizienter bei der Verarbeitung von generativer KI werden. Das wird die Entwicklung von Frontier-Modellen weiter beschleunigen.1
Trotz des frühen Stadiums erfolgt die Entwicklung von Frontier-Modellen extrem schnell. Viele der Funktionen, die von den ersten KI-Startups über Anwendungsschnittstellen (API) auf den weniger leistungsfähigen früheren Modellen angeboten wurden, sind jetzt integriert. Aufgrund des rasanten Fortschritts gehen wir davon aus, dass die größten Investmentmöglichkeiten eher an den Public als an den Private Markets liegen.
Anlegerfokus gilt Kapitalrendite der Hyperscaler
Ein zentrales Thema unserer Gespräche mit diesen Unternehmen war die Schätzung der erwarteten Kapitalrendite (ROI). Um die fortschrittlichsten und leistungsfähigsten Modelle zu entwickeln, investieren Microsoft, Google, Amazon und Meta (die „Hyperscaler“) 2024 insgesamt 188 Mrd. USD. Damit finanzieren sie die Hardware für den Ausbau von Rechenzentren der nächsten Generation, die die GenKI trainieren können. Das ist ein Großteil der Investitionsausgaben, die S&P-500-Unternehmen 2024 tätigen.2 Jedes Unternehmen, das Frontier-Modelle entwickeln möchte, benötigt enorme Ressourcen und die Bereitschaft, in die Entwicklung von GenKI zu investieren. Wir rechnen daher nicht mit einer Welle von Entwicklern, die mit wettbewerbsfähigen Frontier-Modellen an den Markt gehen.
Aus unseren vielen Gesprächen wissen wir aus erster Hand, wie diszipliniert diese Unternehmen ihr Kapital einsetzen. Ein CFO betonte, dass sie sich mehr GPU holen würden, wenn sie könnten – trotz der hohen und steigenden Kosten. Schuld daran ist das Wettrennen der Anbieter von Frontier-Modellen um das leistungsfähigste System. Dieser Konkurrenzkampf wird sich auf absehbare Zeit voraussichtlich nicht entspannen. Zwar erzielen Hyperscaler erste Mehreinnahmen durch generative KI, aber deutliche ROI-Steigerungen werden sich vielleicht erst in ein oder zwei Jahren zeigen. Diese Herausforderung muss der Markt derzeit bewältigen.
Bei den ersten Anwendungsfällen der generativen KI nutzten Entwickler die Technologie zum Programmieren, für die Platzierung von Werbung und um die Produktivität von Verkaufsfunktionen zu steigern. Auch Microsoft bietet vielleicht eine Premium-Version seiner Office-Suite mit integrierter Co-Pilot-Funktion an. Google integriert generative KI in seine führende Suchmaschine und Gmail, um die Benutzererfahrung zu verbessern. Meta integriert generative KI möglicherweise in seine Social-Media-Angebote, um sich als Plattform von der Kuratierung zur Generierung von Inhalten weiterzuentwickeln. Diese Neuerungen können den Weg für eine schnellere Verbesserung von Fundamentaldaten und Wettbewerbsvorteilen bereiten.
Die Halbleiter für die nächste Generation der GenKI-Verarbeitung werden sich voraussichtlich über GPU hinaus ausweiten
Die GPU von NVIDIA haben aufgrund ihrer unvergleichlichen Rechenleistung und ihres Softwareökosystems nahezu den gesamten Marktanteil für GenKI-Training erobert. Dennoch können auch andere Halbleiterhersteller von dieser Entwicklung profitieren. Bemerkenswerterweise haben Hyperscaler ihre eigenen anwendungsspezifischen integrierten Schaltungen (ASICs) entwickelt, die zwar nicht so leistungsfähig sind, aber wiederholbare Aufgaben in großen Mengen effizient ausführen können.
ASICs werden zum Beispiel in der Empfehlungsinfrastruktur von Google für YouTube verwendet, denn die Aufgabe ist eng definiert und wird in hohem Volumen wiederholt. Speziell für bestimmte Workloads entwickelte ASICs können diese Aufgabe viel effizienter und deutlich kostengünstiger als eine leistungsstarke NVIDIA-GPU ausführen. Obwohl die anfänglichen Kosten einer ASIC-Infrastruktur hoch sind, wird die Ausführung von GenKI-Workloads auf diesen Chips danach wahrscheinlich billiger. Hyperscaler sind außerdem in der einzigartigen Position, in die Software zu investieren, die zur Unterstützung der ASIC-Infrastruktur für Training und Inferenz erforderlich ist. Unser Hauptaugenmerk gilt den potenziellen Gewinnern in der Halbleiterbranche, die von dieser Wende voraussichtlich profitieren.
Auch Halbleiterausrüster können dank der Investitionen in KI mit kräftiger Nachfrage rechnen. Dazu tragen in erster Linie die zunehmende Komplexität und Nachfrage nach KI-Chips bei. Insgesamt klettern die Ausgaben für Waferproduktionsanlagen 2025 vermutlich über 130 Mrd. USD. Das sind fast 40 % mehr als 2023.3
Die Integration „destillierter“ Modelle kann einen Erneuerungszyklus bei Handys auslösen
Das Potenzial von GenKI, am „Edge“ (lokaler Zugriff auf KI-Funktionen statt über Cloud-Technologie) genutzt zu werden, ist von zentraler Bedeutung. Dazu eigenen sich von Frontier-Modellen abgeleitete „destillierte Modelle“, die weniger Parameter haben, aber für viele Verbraucheranwendungen sehr leistungsfähig sind. Auf unserer Reise konnten wir Live-Demonstrationen von GenKI-Modellen beobachten, die in Sprachassistenten integriert waren. Gegenüber aktuellen Angeboten stellen sie eine deutliche Verbesserung dar. Wir wollen vor allem verstehen, welche Auswirkungen GenKI-Funktionen am Edge haben und ob dies einen Erneuerungszyklus bei Handys auslösen kann. Dies wäre eines der ersten und konkretesten Beispiele für die Auswirkungen der generativen KI auf den Umsatz und die Gewinne von Unternehmen, die diese Technologie in neue Geräte integrieren.
Zu den technischen Herausforderungen zählt die Beantwortung von Anfragen, die zu komplex für die Edge-KI sind. Destillierte Modelle müssen intelligent genug sein, um komplexe Anfragen an ein Rechenzentrum mit mehr Rechenleistung zu senden. Wir analysieren noch, was das für Unternehmen bedeuten kann, die komplexe Anfragen senden oder erhalten.
Für Software war das erste Quartal nicht säkular, sondern zyklisch
Trotz solider Umsätze im ersten Quartal 2024 erhöhten Softwareunternehmen ihre Prognosen für das Gesamtjahr nicht. Der Markt wertete dies als Hinweis auf mögliche disruptive Auswirkungen der generativen KI auf diese Unternehmen oder auf niedrigere Ausgaben ihrer Kunden, um die höheren Kosten der GenKI-Integration auszugleichen. Daher war die leichte Schwäche in den Ergebnissen von Softwareunternehmen im ersten Quartal wahrscheinlich zyklisch und deutet nicht auf einen langfristen Rückgang hin.
Unserer Ansicht nach sind viele der größten Softwareunternehmen durch die Entwicklung von Frontier-Modellen nicht gefährdet, sondern werden wertvoller, denn sie verfügen über große Mengen an proprietären Kundendaten. In der Tat arbeiten vielen Softwareriesen an vielversprechenden GenKI-Integrationsinitiativen. Möglicherweise entwickeln sich auch Partnerschaften zwischen Enterprise-Software-Unternehmen, die über wertvolle Datensätze verfügen, und Anbietern von Frontier-Modellen. Davon würden die Anbieter profitieren, die ihre Frontier-Modelle mit den hochwertigsten Daten trainieren können.
Anbieter von Cybersicherheitslösungen weiter überzeugend
Für Regierungen und Unternehmen hat Cybersicherheit nach wie vor höchste Priorität. Die Nachfrage nach den innovativsten Lösungen wird voraussichtlich robust bleiben. Die geopolitischen Spannungen und die politische Unsicherheit halten an. In mehr als 50 Ländern, in denen die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, finden 2024 nationale Wahlen statt. Raffinierte Cyberbedrohungen nehmen zu und folglich muss immer mehr in den Schutz investiert werden. Auch für die generative KI ist eine effektive Cybersicherheit von entscheidender Bedeutung, denn beim Trainieren von Frontier-Modellen kommen riesige Datenmengen zum Einsatz. Unternehmen und Regierungen versuchen, mit der sich verändernden Bedrohungslage Schritt zu halten und ihre proprietären Daten zu sichern. Für die Anbieter modernster Cybersicherheitslösungen entstehen Chancen, ihren Kunden beim Schutz ihrer wertvollsten Vermögensgegenstände zu helfen.
Doch nicht nur die Menge an Cyberbedrohungen steigt. Durch den technologischen Fortschritt werden die Angriffe auch immer komplexer. Die generative KI schafft nicht nur neue Bedrohungsvektoren, sondern demokratisiert auch komplexe und schädliche Techniken. Durch den Anstieg der Menge und Komplexität von Cyberangriffen wird mehr für Cybersicherheitslösungen ausgegeben. Das zeigt, wie essenziell es für Unternehmen ist, die robustesten und umfassendsten Cybersicherheitslösungen einzusetzen.
Beschleunigung staatlicher KI-Entwicklung – Chinas Fortschritt schneller als erwartet
Das globale Wettrennen um die Entwicklung und Nutzung der generativen KI spielt sich nicht nur auf Unternehmensebene, sondern auch zwischen Ländern ab. Regierungen weltweit erkennen zunehmend das transformative Potenzial der Technologie. Dank Anwendungen im Bereich der nationalen Sicherheit und Staatsführung sowie erheblichen Steigerungen der Arbeitsproduktivität wird mehr für staatliche Förderungen und strategische Investitionen ausgegeben. Das beflügelt den globalen GenKI-Ausbau und stärkt unsere Zuversicht, dass dieser Technologiezyklus nachhaltig ist. Lokalisierte KI-Infrastrukturen (oder KI-Fabriken) sind unerlässlich für Länder, die KI-Fähigkeiten entwickeln möchten, aber nicht auf Rechenzentren in den USA und mehrsprachige große Sprachmodelle in anderen Regionen angewiesen sein wollen.
Trotz strenger Exportbeschränkungen der US-Regierung für hochmoderne Halbleiter, die für die generative KI benötigt werden, konnte China seinen heimischen KI-Halbleitersektor viel schneller als erwartet entwickeln. Viele waren überrascht über die Geschwindigkeit, mit der China seine Fähigkeiten skaliert hat. Wir gehen davon aus, dass das Land auch weiterhin sein eigenes Technologieökosystem entwickelt, das parallel zum Ökosystem des Westens, aber unabhängig davon existieren wird.
Der Weg nach vorne
Wir halten die generative KI für eine der revolutionärsten technischen Innovationen unserer Zeit. In Bezug auf Investments kann sie einen nachhaltigen und bedeutenden Technologiezyklus vorantreiben, der gerade erst beginnt. Wir rechnen damit, dass breitere Investmentmöglichkeiten entstehen. Das wird zu neuen Gewinnern und Verlierern führen.
Angesichts des enormen Investitionsbedarfs für die Entwicklung von KI-Fähigkeiten und der benötigten Mengen an hochwertigen Daten werden die Hauptnutznießer der GenKI-Transformation wahrscheinlich eher an den Public Markets als am Private-Equity-Markt zu finden sein. Zwar profitierten die Kurse der sogenannten „Magnificent 7“4 bisher am meisten, aber die generative KI kann auch kleineren Unternehmen zugutekommen. Der Bereich ist dynamisch und ändert sich rasant. Fortschritte in der GenKI-Technologie und neue Spitzenreiter machen es umso wichtiger, in die richtigen Unternehmen zu investieren, um langfristig erfolgreich zu sein.
Das Fundamental Equity Technology Team von Goldman Sachs Asset Management analysiert Branchentrends und Unternehmen aller Marktkapitalisierungskategorien. Es kommt regelmäßig zusammen, um Marktdynamiken und Portfoliopositionen zu besprechen. Das Team arbeitet auch mit dem breiteren Fundamental Equity Team zusammen, dem mehr als 100 Researchanalysten auf der ganzen Welt angehören.
1 NVIDIA. Stand: 6. Juni 2024.
2 MSCI, Wind, Bloomberg, FactSet, Goldman Sachs Global Investment Research. Stand: 24. Mai 2024.
Es gibt keine Gewähr, dass Ziele erreicht werden. Die im vorliegenden Dokument enthaltenen Konjunktur- und Marktprognosen dienen zu Informationszwecken und gelten zum Datum des vorliegenden Dokuments. Es gibt keine Gewähr dafür, dass die Prognosen auch tatsächlich eintreffen. Bitte beachten Sie die zusätzlichen Hinweise am Ende dieses Dokuments.
3 Goldman Sachs Asset Management, Bloomberg, Visible Alpha. Stand: 30. Juni 2024.
4Bezieht sich auf Microsoft, Apple, Google, Amazon, NVIDIA, Meta und Tesla.