Grundlagen schaffen: Tempo oder Strategie im Rennen um die Einführung der KI?
Die generative KI birgt transformatives Potenzial. Bei richtigem Einsatz kann sie zum langfristigen Erfolg von Unternehmen in vielen Sektoren beitragen. Doch wie bei jedem Werkzeug gilt: Wer ihre Fähigkeiten nutzen will, muss ihre Werthebel und Komplexitäten verstehen. Firmenlenker müssen überlegen, wie sie die generative KI ganzheitlich in ihre firmenweiten Strategien integrieren können. Die Technologie sollte als Werkzeug für echte strategische Differenzierung und nicht nur für Effizienzsteigerungen genutzt werden. Besonders bei Führungskräften in Branchen, die weniger Erfahrung mit technischer Innovation haben, wird die Lernkurve steil sein. Mit den richtigen Grundlagen wird ein breites Spektrum an Unternehmen in der Lage sein, das bahnbrechende Potenzial der generativen KI zu nutzen.
Die Stärke einer Strategie zur Einführung generativer KI ausloten
Für die Einführung der generativen KI muss jedes Unternehmen letztlich seinen eigenen Ansatz finden. Dennoch sollten Managementteams zunächst einige grundlegende Aspekte beachten, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben, Wertsteigerung erzielen und Rückschläge vermeiden wollen. Dazu gilt es, vier zentrale Fragen zu beantworten.
Wie kann die generative KI unser Nutzenversprechen an unsere Kunden unterstützen?
Die generative KI vermag Kundenerfahrungen, Automatisierung und sogar Betrugserkennung erheblich zu verbessern. Nicht alle Anwendungen der Technologie werden jedoch gleichermaßen wirkungsvoll sein. Wenn der Wert für Kunden sich hauptsächlich von physischen Produkten oder Interaktionen ableitet, kann die generative KI Kernmerkmale und -dienstleistungen eventuell nicht nachbilden. Das macht sie für bestimmte Unternehmen weniger effektiv und daher weniger wichtig. Wird für Kundeninteraktionen übermäßig generative KI eingesetzt, geht vielleicht die persönliche Verbindung verloren. Das kann der Kundenloyalität und dem Markenruf schaden. Wichtig ist, Synergien zwischen menschlicher Expertise und den Fähigkeiten der generativen KI zu identifizieren. Wenn es Unternehmen nicht gelingt, die richtige Balance zwischen Automatisierung und menschlicher Komponente zu finden, kann das Nachteile für sie haben.
Wie können wir die generative KI nutzen, um uns von unseren Konkurrenten abzuheben?
Manch neue Technologie setzt sich schnell als Standard in der Geschäftswelt durch, während nachfolgende Innovationen den Wettbewerb vielleicht nur langsam verändern. Die rasante Akzeptanz und Weiterentwicklung der generativen KI legt nahe, dass First-Mover-Vorteile nur von kurzer Dauer sein werden. Unternehmen müssen sich extrem gut anpassen können, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie müssen verstehen, wie die Monetarisierungsmodelle der generativen KI und die Wege zur Wertsteigerung beeinträchtigt werden können. Wichtig ist, ob die generative KI es neuen Marktteilnehmern ermöglicht, die Kernversprechen für Kunden schnell nachzuahmen. Effizienzgewinne verschwinden möglicherweise, wenn kostengünstige, potenziell KI-native Lösungen an den Markt kommen. Durch einfachere Onboarding- und Migrationsverfahren reduzieren sich die Wechselkosten. Das ist für bestehende Unternehmen gefährlich, die sich auf Lock-in-Effekte bei ihren Kunden verlassen.
Nicht alle Unternehmen benötigen dieselbe Analysekraft und Genauigkeit, um ihr Nutzenversprechen einzuhalten und ihren Wettbewerbsvorteil zu wahren. Das wirkt sich sowohl auf die Anforderungen an die Dateneingabe bei generativen KI-Modellen als auch auf die Überwachung der Ergebnisse aus. Ein hohes Maß an Genauigkeit mag beispielsweise für eine von generativer KI generierte Produktpräsentation ausreichend sein. Für andere Anwendungen wie das Auswerten eines medizinischen Bildes oder die Rechtsberatung gilt wiederum eine Null-Fehler-Toleranz. Je mehr Genauigkeit erforderlich ist, desto mehr müssen generative KI-Modelle mit großen Datenmengen trainiert werden. Trotz höherer Genauigkeit und schnellerer Analyse wird aber immer noch menschliche Überwachung gebraucht, bis ein höheres Vertrauensniveau erreicht ist.
Eine effiziente Implementierung der generativen KI hängt von der Verfügbarkeit, Qualität, Integration, Sicherheit und dem Schutz von Daten ab. Den stärksten KI-Schutzwall kann man unseres Erachtens mit proprietären Daten schaffen. Einzigartige Daten führen zu einzigartigen Produkten und Dienstleistungen. Unternehmen hingegen, die gleichartige Technologie auf gleichartige Daten anwenden, erzielen wahrscheinlich undifferenzierte Ergebnisse und rutschen in eine Kreativitätslücke. Allerdings besteht auch das Risiko, dass das Modell eines Unternehmens unbeabsichtigt Wettbewerbern hilft (d. h., private oder proprietäre Daten können verwendet werden, um Modelle zu verbessern, die von Wettbewerbern genutzt werden). Gleichzeitig verursachen ausgefeilte Datenmanagementprogramme zur Gewährleistung der Sicherheit proprietärer und potenziell regulierter Daten unter Umständen höhere laufende Kosten.
Wie hoch sind die Gesamtkosten einer KI-Implementierung und verfügt unser Unternehmen über die Ressourcen, um diese Kosten zu tragen?
Die Direktkosten einer KI-Implementierung bestehen primär aus den Kosten für Rechenleistung und Daten. Welche KI ein Unternehmen in welcher Größenordnung und folglich zu welchen Kosten implementiert, hängt von den Antworten auf die ersten beiden Fragen ab. Die Kosten können beispielsweise extrem hoch sein, wenn die Unternehmensstrategie die Entwicklung und Pflege proprietärer großer Sprachmodelle vorsieht.
Ein KI-Modell aufzubauen und zu trainieren, kann teuer und zeitaufwändig sein. Kosten entstehen für Hardware, Technik, Datenakquise, Testen und Rechenleistung. Im Gegensatz zu früheren Computerbooms werden diese Kosten voraussichtlich jedoch nicht signifikant sinken, nachdem die Modelle trainiert wurden. Der Betrieb trainierter Modelle erfordert immer noch eine enorme Rechenleistung, um die Milliarden von Berechnungen für jede Anfrage durchführen zu können. Aus diesem Grund gehen einige Unternehmen zu kleineren Modellen über (die jedoch weiterhin mit großen Datenmengen trainiert werden). Andererseits sind Open-Source-Modelle möglicherweise kostenlos (wenngleich Support und Pflege eingeschränkt sein können). Viele Technologieunternehmen vergrößern das Ökosystem, um ihren Kunden mehr, bessere und günstigere KI-Lösungen für verschiedene Anwendungsfälle anbieten zu können.
Ganz gleich, ob die Modelle groß oder klein sind, die Kosten für die Infrastruktur zur Unterstützung der generativen KI stellen einen entscheidenden Budgetfaktor dar. Ohne Infrastruktur für die steigende Nachfrage nach Rechenkapazität wäre eine KI-Transformation nicht möglich. Die erforderliche Infrastruktur für das Trainieren und Einsetzen komplexer Algorithmen stellen Rechenzentren bereit. Dort sorgen maschinelles Lernen (ML) und große Sprachmodelle jetzt schon für steigenden Kapazitätsbedarf. Bis Ende des Jahrzehnts werden voraussichtlich ca. 20 % der Nachfrage von KI-Aktivitäten stammen.1 Auch der Strombedarf der Rechenzentren wird durch die KI erheblich steigen. Eine ChatGPT-Suche verbraucht beispielsweise das 6- bis 10-Fache an Energie verglichen mit einer herkömmlichen Google-Suche.2 Jüngste Studien prognostizieren eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 15 % für den Strombedarf von Rechenzentren von 2023 bis 2030. Das heißt, bis 2030 machen Rechenzentren 8 % des gesamten US-Strombedarfs aus (derzeit sind es etwa 3 %).3 Vielfach muss deswegen das bestehende Stromnetz aufgerüstet und neue Energieerzeugungskapazität aufgebaut werden.
Der Bedarf an ausreichendem Zugang und die langen Wartezeiten für einen Anschluss an das Stromnetz sorgen für mehr Wettbewerb und physische Einschränkungen der Infrastruktur. Dadurch werden wahrscheinlich die Kosten in die Höhe getrieben. Der Bau von Rechenzentren und Energieerzeugungsanlagen nimmt Zeit in Anspruch, und es gibt nur begrenzte strategisch geeignete Standorte für Rechenzentren. Schon jetzt ist es für KI-Betreiber schwierig, Kapazitäten für die Bereitstellung aktueller KI-Workloads zu finden. Rechenzentrumsbesitzer und -betreiber haben daher starke Preismacht über einen wichtigen Kostenfaktor. Noch beschränkt sich dieser Trend auf die USA, aber auf mittlere bis lange Sicht wird er sich global auswirken.
Auch die Personalkosten steigen, denn die hohe Nachfrage nach KI-Fachkräften trifft auf ein begrenztes Angebot. Es gibt zu wenig Fachkräfte mit Expertise in den relativ neuen Bereichen Verarbeitung und robotergestützte Prozessautomatisierung, Deep Learning, maschinelles Lernen und Verarbeitung natürlicher Sprache. Sekundäre Kosten fallen an für Umschulung, Change Management und rechtliche Aspekte. All das kann erheblichen Einfluss auf Geschäftspläne haben, in denen die Einführung der generativen KI nicht klug gemanagt wird.
Berücksichtigen wir gesellschaftliche Bedenken und deren potenzielle Auswirkungen auf die Akzeptanz der KI angemessen?
Diese Frage scheint vielleicht außerhalb des Zuständigkeitsbereichs eines einzelnen Unternehmens zu liegen. Dennoch beeinflussen die drei unten erörterten Bedenken die zukünftige Nutzung der KI insgesamt und sollten daher vor Investitionen in diesen Bereich immer berücksichtigt werden.
Sicherheitsrisiken sind von größter Bedeutung, denn bei Cyberangriffen können die Daten manipuliert werden, die den Modellen zugrunde liegen. Das würde die Ergebnisse verändern und die Integrität eines Modells auf schwer erkennbare Weise beeinträchtigen.
Umweltbedenken ergeben sich einerseits aus dem Energieverbrauch für den Betrieb der Modelle. Es entsteht jedoch auch ein hoher Rohstoffverbrauch für den Bau und das häufige Auswechseln der Hardware aufgrund des rasanten technologischen Fortschritts.
Gesellschaftliche Bedenken bestehen, weil das, was die KI generiert, nicht immer transparent und nachvollziehbar ist. Das wirft besonders bei kritischen Anwendungen, bei denen menschliches Leben oder Menschenrechte auf dem Spiel stehen, Fragen über Verantwortlichkeit und potenzielle Verzerrungen in den Daten auf. Desinformationen, Deepfakes und Versuche, menschliches Verhalten zu beeinflussen, können das Vertrauen in Institutionen untergraben, gesellschaftliche Spaltung verschärfen und sogar demokratische Prozesse beeinträchtigen.
Diese Bedenken haben unter Umständen kommerzielle Auswirkungen, die eine breitere Akzeptanz der Technologie beeinflussen. Was passiert, wenn diese Bedenken in der Öffentlichkeit Zweifel daran wecken, ob die generative KI als primäres Mittel für die Interaktion mit Unternehmen oder für bestimmte Erlebnisse geeignet ist? Können die Eigentümer verwendeter Daten die Eigentümer von Modellen wegen Urheberrechtsverletzung verklagen? Können große reale Ereignisse (z. B. KI-verursachte Industrieunfälle) oder Online-Ereignisse (z. B. gezielte Desinformation und Zunahme von Deepfakes) zusammen mit sozialen und ökologischen Bedenken zu einem Kipppunkt führen?
Menschliche Überwachung sowie die hybride Nutzung von Technologie und menschlichem Urteilsvermögen werden entscheidend sein, um mit gesellschaftlichen Herausforderungen und deren kommerziellen Auswirkungen umzugehen. Ein wichtiger Wettbewerbsfaktor für Unternehmen werden möglicherweise ihre Governance-Strukturen sein. Verantwortlichkeit ist eine Grundvoraussetzung, um das Vertrauen von Kunden zu gewinnen und zu wahren. Unternehmen, die transparente und nachvollziehbare generative KI-Systeme entwickeln, klare Richtlinien setzen und Vertrauen in puncto Sicherheit und Datenschutz schaffen, werden langfristig im Vorteil sein.
Auf Unternehmensebene kann die Art und Weise, wie diese Probleme angegangen werden, an sich ein Mittel zur strategischen Differenzierung sein. Schon beim Einsatz der generativen KI können Unternehmen die Bedenken ihrer Kunden berücksichtigen. Neben dem eigenen Nutzenversprechen und individuellen Risiken gilt es auch, auf das einzugehen, was für Kunden obersten Stellenwert hat. Die Komplexität und rasante Einführung dieser Technologie machen es umso wichtiger, dass Unternehmen mit Transparenz und klarer Kommunikation das Vertrauen ihrer Kundenbasis gewinnen und wahren. Derartige Bemühungen können zu einem zentralen Unterscheidungsmerkmal werden.
Blick in die Zukunft
Bei der Einführung der generativen KI müssen heute die richtigen Grundlagen geschaffen werden: Datenkomplexität und -verfügbarkeit, technische Infrastruktur, Fachkräfte, Organisation und Unternehmensführung. So lassen sich die Vorteile dieser schnelllebigen Technologie in Zukunft realisieren.
Unternehmen müssen auch verstehen, in welchen Bereichen sich die generative KI von der traditionellen KI/maschinellem Lernen unterscheidet. Bei letzterem waren die Ergebnisse in puncto logischem Denken und Content-Generierung bisher noch nicht überzeugend. Kreativität war der heilige Gral. Die generative KI wird jedoch in beiden Bereichen stark und ermöglicht eine bisher unvorstellbare Kreativität. Es ist möglich, dass die generative KI irgendwann nicht nur unsere Fragen genau beantwortet, sondern uns auch sagt, welche Fragen wir hätten stellen sollen. Das kann in vielen Branchen zu einem einschneidenden Paradigmenwechsel führen.
Selbst das beste Produkt oder Unternehmen kann sich in diesem schnelllebigen Umfeld nicht auf seinem Erfolg ausruhen. Der Zeit voraus zu sein, ist ein Muss. Wie bereits erläutert wird Technologie allein nicht ausreichen, um Renditen zu erzielen. Wer in diesem Rennen langfristig die Nase vorn hat, wird voraussichtlich mehr von der Strategie abhängen, mit der diese neue Technologie eingeführt wird, als vom Tempo. Mit den oben erörterten Fragen erhalten Führungskräfte genau die Einblicke, die sie für eine effektive Integration der generativen KI und eine erfolgreiche, messbare Transformation benötigen.
1. Goldman Sachs Global Investment Research. „Generational growth, AI, data centers and the coming US power demand surge“ (Generationales Wachstum, KI, Rechenzentren und der bald rasant steigende Strombedarf in den USA). Stand: April 2024
2. Goldman Sachs Global Investment Research. „Generational growth, AI, data centers and the coming US power demand surge“ (Generationales Wachstum, KI, Rechenzentren und der bald rasant steigende Strombedarf in den USA). Stand: April 2024
3. Goldman Sachs Global Investment Research. „Generational growth, AI, data centers and the coming US power demand surge“ (Generationales Wachstum, KI, Rechenzentren und der bald rasant steigende Strombedarf in den USA). Stand: April 2024