Entdollarisierung: Anwärter auf den Währungsthron

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Candice Tse
Global Head of Strategic Advisory Solutions

Wird der US-Dollar seinen Status als Reservewährung der Welt verlieren?

Inmitten einer langjährigen Diskussion um die "Entdollarisierung" ist der Anteil des US-Dollars an den Zentralbankreserven weltweit von 72% im Jahr 2002 auf 58% im Jahr 2022 zurückgegangen.

Grafik 1: Der Anteil des US-Dollar an Zentralbankreserven ist in den letzten beiden Jahrzehnten gesunken.Grafik, die den Rückgang des US-Dollar darstellt

Quelle: Internationaler Währungsfonds und Goldman Sachs Asset Management. Stand: 31. Dezember 2022. „USD“ steht für US-Dollar. „EUR“ steht für Euro. „GBP“ steht für britische Pfund. „JPY“ steht für japanische Yen. „CNY“ steht für chinesische Yuan.

Die Anzahl der Schlagzeilen zum Thema Entdollarisierung hat insbesondere seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zugenommen:

  • Saudi-Arabien und China befinden sich in Gesprächen über die Abwicklung chinesischer Ölverkäufe in Yuan.
  • Brasilien und China haben die schrittweise Einführung einer Yuan-Abwicklungsvereinbarung bekanntgegeben.
  • China hat gemeldet, dass der Handel mit Russland inzwischen hauptsächlich in Yuan stattfindet.

Dennoch bleibt unsere Grundüberzeugung unverändert: Wir sehen weiterhin hohe Hürden für eine Entthronung des US-Dollar, insbesondere im kommenden Jahrzehnt. Wir sehen uns einige Anwärter auf den Währungsthron an und besprechen, wie sie im Vergleich zum US-Dollar abschneiden.

Wie schneiden konkurrierende Währungen im Vergleich zum US-Dollar ab?

Der chinesische Yuan 

Im Zuge der weiteren Vertiefung wirtschaftlicher und politischer Beziehungen auf der ganzen Welt durch China ist der chinesische Yuan zu einem der größten Herausforderer des US-Dollar geworden.

  • Allerdings gehören zu den Grundprinzipien eines Kapitalmarktes problemlose Konvertibilität, regulatorische Transparenz und hohe Handelsvolumen. Wir gehen davon aus, dass andere Länder ihre primären Währungsreserven nur dann auf Yuan umstellen würden, wenn Investitionen in China leichter zugänglich würden und sich der chinesische Anleihemarkt ausreichend substanziell vergrößern würde, um den Besitz von Yuan zu rechtfertigen. Zum Vergleich: Der US-Anleihemarkt ist ca. 51 Billionen USD groß, der chinesische hingegen nur ca. 20 Billionen USD.1
  • Zudem gilt: Je mehr ein Land im Vergleich zu seinen Importen exportiert, desto größer ist seine Leistungsbilanz und desto größer sein Anreiz, die Aufwertung seiner eigenen Währung zu begrenzen. Wenn China den Reservestatus des US-Dollar übernähme, würde die weltweite Nachfrage nach Yuan vermutlich zu einer erheblichen Aufwertung der Währung sorgen. Bis China also zum Netto-Importeur wird, bestehen für das Land negative Anreize für eine Entthronung des US-Dollar.

Der Euro

Der zwei Jahrzehnte alte Euro ist ein weiterer beliebter Herausforderer, und die Währungen vieler Länder sind an den Euro gebunden.

  • Allerdings bleibt das Fragmentierungsrisiko ein wichtiges Hindernis für den Einsatz des Euro als primäre Reservewährung. Da der Euroraum auch eine Währungsunion ist, kann die Schuldenkrise eines Mitgliedstaates die finanzielle Stabilität der gesamten Union bedrohen (ein Beispiel hierfür ist Griechenland im Jahr 2015).
  • Des Weiteren haben nicht alle 27 EU-Länder den Euro eingeführt, und die 20 Länder, in denen der Euro verwendet wird, verfügen über unabhängige Zentralbanken mit eigenen Aufträgen. Die Geld- und Finanzpolitik der einzelnen Mitgliedstaaten mit der des breiteren Euroraums in Einklang zu bringen, wird vermutlich auch weiterhin Herausforderungen bieten.

Eine BRIC-Alternativwährung 

Die Idee, dass die BRIC-Länder eine alternative Währung schaffen, hat ebenfalls für Gesprächsstoff gesorgt.

  • Wir erkennen an, dass regionale Block-Währungen die Fragmentierung von Währungsreserven verstärken können. Allerdings ist ein zentrales Merkmal einer Reservewährung, dass sie mit einer wichtigen Wirtschaft mit liberalisierten Kapitalmärkten verknüpft ist. Eine BRIC-Alternativwährung hätte vermutlich nicht ausreichend Einfluss auf den Kapitalmärkten, um den Status des US-Dollar als Reservewährung zu bedrohen.

Der US-Dollar

Die hochvolumigen Kapitalmärkte und die Wechselkurssysteme der USA festigen das Ansehen und die Beständigkeit des US-Dollar.

  • Die hochvolumigen US-Kapitalmärkte ermöglichen es anderen Ländern, ihre Reserven zuverlässig in großem Maßstab in Staatsanleihen der US-Regierung zu investieren, was die Attraktivität des US-Dollar als sicheren Hafen verstärkt. 
  • Es gibt das Argument, dass die hohe Anleihebegebung der USA ein langfristiges Risiko für den Dollar darstellt. Das wäre unserer Ansicht nach aber nur der Fall, wenn das Schuldenniveau der USA unhaltbar wäre. Die nominalen Zinszahlungen der USA als Prozentsatz des BIP bleiben jedoch nahe dem langfristigen Durchschnitt von 1,9 %.2
  • Die Wechselkurssysteme von mehr als 30 Ländern basieren auf dem US-Dollar – 11 davon nutzen ein Currency Board-System und 13 Länder (darunter Saudi-Arabien) nutzen eine konventionelle Wechselkursbindung.3 Diese an den US-Dollar gebundenen Währungen stellen einen enormen Schutzfaktor für seinen Reservestatus dar.


Unserer Ansicht nach besteht kein großes Risiko, dass die Entdollarisierung in absehbarer Zukunft die globale Währungsordnung verändert, aber wir erkennen auch an, dass sie Teil eines jahrzehntelangen Trends sein könnte. Falls überhaupt, erwarten wir weniger, dass ein einzelner neuer Anwärter den US-Dollar als Reservewährung der Welt ablöst, sondern dass mehrere andere Währungen ihren Anteil an den Währungsreserven ausbauen, wie es in den vergangenen beiden Jahrzehnten bereits der Fall war. Bis dahin gehen wir davon aus, dass die Entdollarisierung eine populäre Schlagzeile bleiben mag, aber ihre Verwirklichung unwahrscheinlich ist.

1Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Stand: 30. September 2022.

2Wirtschaftsdaten der US-Notenbank, Stand: 30. März 2023.

3Internationaler Währungsfonds, Stand: 7. Juli 2022.

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