Demografie: The Good, The Bad, and The Ugly

7. August 2023 | 15 Minuten Lesezeit
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James Ashley
International Head of Strategic Advisory Solutions
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Simona Gambarini
Senior Market Strategist, Strategic Advisory Solutions
Perspektiven
Dieser Artikel ist Teil unserer Perspektiven Serie
Wichtige Erkenntnisse
1
Die demografischen Trends legen nahe, dass in vielen Industrieländern und in China in den kommenden zehn Jahren mit niedrigerem Wachstum, höherer Inflation, erhöhten Zinsen und höherer Verschuldung zu rechnen ist.
2
Viel wird von der Wirtschaftspolitik, den Zuwanderungstrends sowie der Entwicklung bei den Altersgruppen der jungen Menschen und Menschen mittleren Alters abhängen. Die sich verschlechternden demografischen Trends bei der Erwerbsbevölkerung deuten jedoch auf höhere Renditen und niedrigere Risikoprämien bei Aktien in den Industrieländern hin.
3
Langfristig orientierte Anleger sollten demografische Trends bei ihren Anlageentscheidungen vielleicht berücksichtigen. Das bedeutet zum Beispiel in Unternehmen zu investieren, die vom Ausgabeverhalten älter werdender Verbraucher oder von den positiven demografischen Profilen der Schwellenländer profitieren.

Unter Ökonomen wird häufig der französische Philosoph Auguste Comte zitiert, der gesagt haben soll: „Demografie ist Schicksal.“ Unserer Meinung nach hatte er Unrecht. Die demografische Entwicklung ist nur ein Faktor, der die wirtschaftliche und soziale Lage in verschiedenen Ländern beeinflusst. Langfristig gesehen kann sich dieser Faktor allerdings maßgeblich auf die politischen Prozesse, die Inflation oder auch auf Anlageentscheidungen auswirken. In diesem Artikel gehen wir auf die vielen Folgen der wichtigsten demografischen Trends ein. Wir schauen uns an, was dies für die Gesamtwirtschaft bedeutet, wie Regierungen sich an demografische Veränderungen anpassen und, was am wichtigsten ist, was das für Anleger bedeutet.

Demografie: Ein Überblick

Jede signifikante Veränderung der Bevölkerungsstruktur, wie etwa Durchschnittsalter, Abhängigkeitsquoten, Lebenserwartung oder Geburtenraten, kann wesentliche Auswirkungen auf eine Volkswirtschaft haben. Demografischer Wandel kann die Wachstumsrate einer Wirtschaft, das strukturelle Produktivitätswachstum, die Lebensbedingungen, die Sparquote, den Konsum und Kapitalanlagen beeinflussen. Auch die langfristige Arbeitslosenquote und der Gleichgewichtszinssatz, Wohnungsmarkttrends und die Nachfrage nach Vermögenswerten können davon beeinflusst werden. Volkswirtschaften, in denen der Bevölkerungsanteil im Haupterwerbsalter (25 bis 54 Jahre) rasant wächst, profitieren von einem höheren Wachstumspotenzial des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Allerdings stehen sie auch vor der Herausforderung, genügend Beschäftigung bereitstellen zu müssen, um den Bedürfnissen und Wünschen dieser Bevölkerungsgruppe gerecht zu werden. Alternde Gesellschaften hingegen müssen damit umgehen, dass ihre Erwerbsbevölkerung schrumpft. Sie müssen ihre Volkswirtschaften neu ausrichten und einen höheren Anteil des gesamtwirtschaftlichen Einkommens für Vorsorge und Gesundheitsversorgung ausgeben (egal, ob mit öffentlichen oder privaten Geldern finanziert). Je nach Dynamik und Parameter der Bevölkerungspyramide können die Herausforderungen ganz unterschiedlich sein. In vielen Fällen geht es um Verteilungsfragen. Fragen die wichtig sind für Anleger, die ihr Kapital effizient einsetzen möchten. 

Diese Fragen sind von unmittelbarer praktischer Bedeutung. Viele der weltweit größten Volkswirtschaften befinden sich mitten im schnellsten demografischen Wandel seit dem Zweiten Weltkrieg, der sowohl die Gesamtwirtschaft als auch die Investmentlandschaft auf Jahrzehnte verändern kann. In den USA sind die fallenden Geburtsraten und die alternde Bevölkerung weniger problematisch als in anderen Ländern, dennoch liegt die Erwerbsbeteiligung auf einem Jahrzehntetief. Auslöser dieses langfristigen Trends war der exogene Schock, den die COVID-19-Lockdowns dem Arbeitsmarkt versetzten. 

China hingegen steuert auf einen Lewis-Wendpunkt zu, d. h., sein Überschuss an Arbeitskräften verschwindet und die alternde Bevölkerung wächst. Diese Kombination kann den Querschnitt der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt grundlegend verändern und auch globale Folgen nach sich ziehen. Einfach ausgedrückt deuten die demografischen Entwicklungen in China nachdrücklich auf ein schwächeres Trendwachstum in den kommenden Jahren hin. Derartigen demografischen Druck spürt China nicht allein: Deutschland, Italien und große Teile Osteuropas müssen wohl mit den Folgen einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung fertig werden, da die Babyboomer in den Ruhestand gehen. 

Weitaus positiver ist das demografische Profil dagegen in vielen Schwellenländern. Indien beispielsweise hat vor kurzem China als bevölkerungsreichstes Land der Welt überholt und wird noch Jahrzehnte von seinem demografischen Profil profitieren.2

Prognostizierte Veränderungen der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sind weltweit unterschiedlichPrognostizierte Veränderungen der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sind weltweit sehr unterschiedlich

Quelle: Vereinte Nationen, Haver Analytics und Goldman Sachs Asset Management. Stand: 17. Juni 2023. Die im vorliegenden Dokument enthaltenen Konjunktur- und Marktprognosen dienen zu Informationszwecken und gelten zum Datum des vorliegenden Dokuments. Es gibt keine Gewähr dafür, dass die Prognosen auch tatsächlich eintreffen. Nur zur Veranschaulichung.

Warum Demografie wichtig ist: Eine makroökonomische Perspektive

Die Auswirkungen einer alternden Bevölkerung auf das Wirtschaftswachstum zu messen ist komplex und vielschichtig. Für eine aussagekräftige Analyse sollte man die demografischen Entwicklungen zusammen mit anderen langfristigen Trends betrachten, wie etwa die verstärkte Entwicklung und Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI), staatliche Bemühungen zur Senkung der CO2-Emissionen, sowie die Aufsplitterung der Weltwirtschaft. 

Bei sonst unveränderten Faktoren deuten ungünstigere demografische Impulse auf ein schwächeres Wachstumspotenzial hin. Das ist in erster Linie der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung geschuldet. Nach Schätzungen des US Congressional Budget Office beispielsweise ist das durchschnittliche Wachstum des potenziellen US-BIP in den Jahren 1948 bis 2001 durch eine höhere Erwerbsquote bei Frauen und das Heranwachsen der Babyboomer-Generation um etwa 1,7 Prozentpunkte gestiegen.3 Wenn die Bevölkerung älter wird, schrumpft in der Regel die Kohorte der Menschen im erwerbsfähigen Alter. Das kann zu einem Rückgang der Erwerbspersonen und zu einer potenziell niedrigeren Wirtschaftsleistung führen. 

Die demografische Entwicklung kann sich jedoch auch auf andere Bestandteile des Wachstumspotenzials als nur auf die Anzahl der Erwerbstätigen auswirken. Investitionen können unter der Alterung der Erwerbsbevölkerung leiden, was negative Folgen für die Kapitalbildung hätte. Ältere Arbeitskräfte reduzieren möglicherweise ihr Anlagevermögen, um Kosten zu decken, bevor sie in den Ruhestand gehen. Oder sie schichten ihr Anlagevermögen in Anleihen oder liquide Mittel um, sodass ihr Risikoprofil mit zunehmendem Alter konservativer (vorsichtiger) wird. Ältere Menschen haben in der Regel mehr gesundheitliche Bedürfnisse, die höhere Kosten für die Gesundheitsversorgung verursachen. Wenn sich die Ausgaben von Sektoren mit höherer Produktivität zum Gesundheitswesen hin verlagern, kann das zu einer niedrigeren Gesamtproduktivität führen, die dann auch das Wachstum belasten würde. 

Aus vielerlei Gründen geht man davon aus, dass die statistische Beziehung zwischen dem Altern der Erwerbsbevölkerung und der Produktivität buckelförmig ist. Allerdings kann die Spitzenproduktivität aufgrund von Faktoren wie Gesundheit und Bildungsstand schwanken.

Altern und KI

Gleichzeitig mit dem Altern vieler Volkswirtschaften breitet sich die Nutzung generativer KI immer mehr aus, was die Produktivität insgesamt stützen kann. Goldman Sachs Global Investment Research (GIR) schätzt, dass die generative KI je nach Kapazität und zeitlicher Einführung die Arbeitsproduktivität in den USA innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren nach der breiten Einführung um knapp 1,5 Prozentpunkte steigern kann.Das könnte letztendlich zu einem jährlichen Anstieg des globalen BIP um 7% führen. 

Zwar könnte die KI der nächste Wachstumstreiber des BIP werden, doch es ist noch unklar, inwieweit Arbeitskräfte in verschiedenen Altersgruppen und Ländern und mit unterschiedlicher Ausbildung davon verdrängt werden oder davon profitieren. Diese Frage stellt sich vor allem in Bereichen wie Kundendienst und juristische Dienstleistungen, Programmieren und Content Creation. 

Die demografische Entwicklung könnte die Wirtschaftswachstumsraten in vielen großen Volkswirtschaften daher deutlich beeinträchtigen. Bedenkt man aber, in welchem Maß alternde Gesellschaften Innovation anzustoßen vermögen, ist eine komplexere und nuancierte Analyse erforderlich. 

Inflation

Der Nettoeffekt des Alterns auf die Inflation hängt davon ab, wie stark verschiedene Gegenströmungen sind. Wir gehen davon aus, dass die nominale Gesamtnachfrage zurückgeht (ein inflationshemmender Effekt), wenn ein größerer Anteil der Bevölkerung in den Ruhestand geht (wodurch das Einkommen in der Regel sinkt). Aber auch das Gesamtangebot wird fallen (ein inflationstreibender Effekt), wenn die Erwerbsbevölkerung schrumpft. Da der Eintritt in den Ruhestand mit der Aufgabe sämtlicher wirtschaftlicher Produktion einhergeht, Rentner aber ihre Nachfrage nur zum Teil reduzieren (wenn überhaupt), dann ist der Nettoeffekt dieser beiden allgemeinen Einflüsse voraussichtlich inflationstreibend.  

Die aggregierten Daten vermitteln jedoch unter Umständen kein vollständiges Bild. Verschiebungen des Ausgabeverhaltens auf regionaler oder Sektorebene können gleichermaßen einflussreich sein. Weisen alternde Gesellschaften beispielsweise differenzierte Ausgabemuster auf, kann das bedeuten, dass Ausgaben zu Sektoren hin umgelenkt werden, in denen ausreichende angebotsseitige Kapazität vorhanden ist. Das würde den inflationstreibenden Effekt enorm dämpfen. Mikrotrends (auf Sektorebene) können ebenso wichtig sein wie (gesamtwirtschaftliche) Makrotrends. 

Die Wiederöffnung der Wirtschaft nach der COVID-19-Pandemie bot ein ähnliches Szenario: Verwerfungen am Arbeitsmarkt auf Sektorebene (ob Überfluss- oder Mangelsituation) aufgrund struktureller Brüche können enorme Auswirkungen auf die Lohndynamik verursachen. Statt großer Verallgemeinerungen ist tendenziell eine gründliche mikroökonometrische Analyse auf Einzelfallbasis erforderlich. Und so wie bei den Auswirkungen des Alterns auf das Wachstum muss man auch bei der Inflation andere strukturelle Veränderungen berücksichtigen, die gleichzeitig erfolgen. Technologie und die breite Akzeptanz der KI beispielsweise könnten in vielen Volkswirtschaften eine starke inflationshemmende Wirkung entfalten. Die Auswirkungen auf die Kapazität (und somit die inflationstreibenden Folgen) in der Gesundheits- und Sozialversorgung hingegen sind ungewiss, denn dort wird die Nachfrage in alternden Gesellschaften voraussichtlich steigen.

Politische Auswirkungen

Entscheidend ist, dass die Auswirkungen einer alternden Bevölkerung auf das Wirtschaftswachstum und die Inflation je nach Land unterschiedlich sein können und von Faktoren wie der Regierungspolitik, der Arbeitsmarktdynamik und den Gesundheitssystemen abhängen. Mit Änderungen ihrer Zuwanderungspolitik, Arbeitsmarktregulierung, sowie Investitionen in das Gesundheitswesen und in die Bildung können Regierungen auf die Herausforderungen einer alternden Bevölkerung reagieren und ein nachhaltiges langfristiges Wirtschaftswachstum fördern. Doch auch China, das in den letzten 20 Jahren eine wichtige Quelle des Arbeitskräfteangebots war, leidet unter einer nachteiligen Demografie. Für entwickelte Volkswirtschaften kann es daher schwieriger werden, durch Zuwanderung oder Outsourcing der Produktion Arbeitnehmer aus Ländern wie China zu importieren. 

Insgesamt sind wir der Ansicht, dass die alternde Bevölkerung in den meisten Industrieländern und in China größtenteils inflationstreibend wirken wird, besonders im Zusammenhang mit der Dekarbonisierung und Deglobalisierung. Dadurch kann eine grundlegend andere Inflationsdynamik entstehen, als in den letzten 15 Jahren, auf die die Zentralbanken reagieren müssen. Die demografischen Entwicklungen deuten auf eine strukturell hartnäckige Inflation hin, d.h., die Leitzinsen könnten in den kommenden Jahrzehnten nominal höher sein. Das wäre eine Umkehr von der Zeit nach der globalen Finanzkrise, in der niedrige Inflation herrschte und die Leitzinsen an ihrer Untergrenze verharrten. Für Anleiheinvestoren könnte das weitreichende Auswirkungen haben.

Die demografische Entwicklung birgt nicht nur das Potenzial enormer wirtschaftlicher Auswirkungen, sie kann auch signifikante Folgen für Kapitalanlagen haben.

Wenn die Bevölkerung älter wird und länger lebt, birgt das auch fiskalpolitische Herausforderungen im Bereich der Gesundheits- und Sozialversorgung sowie der Finanzierung der gesetzlichen Rente. Verstärkend kommt noch hinzu, dass die Geburtenraten in vielen Industrieländern derzeit fallen. Unter der neutralen Annahme, dass die Nettozuwanderung im Großen und Ganzen gleich bleibt, hätte diese demografische Dynamik unter anderem zur Folge, dass die Zukunftsfähigkeit einer gesetzlichen Rente unter den gegebenen Parametern wie Renteneintrittsalter, Beiträge, Auszahlungen und Sicherheit der Rentenzahlungen fraglich würde. In Großbritannien zum Beispiel, wo die demografische Entwicklung noch gar nicht so schlecht ist, schätzt das Office for Budget Responsibility, dass die Kosten der gesetzlichen Rente von aktuell 4,8% des BIP bis 2070 auf 8,1% steigen werden.5 

Die Politik und alle anderen betroffenen Gruppen müssen unter Umständen darüber sprechen, ob diese Kosten sozialverträglich sind oder ob überdacht werden muss, welches Rentenniveau angemessen wäre. Derartige Debatten dürfen nicht nur rein technokratisch oder im luftleeren Raum geführt werden, wie die jüngsten Demonstrationen in Frankreich gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters zeigen.Bei diesen essenziellen Fragen geht es um grundlegende Elemente des Gesellschaftsvertrags. Was ist eine angemessene Höhe der Ansprüche, die Bürger erwarten können? Ab welchem Alter? Wie hoch müssen die Steuern sein, um das zu finanzieren? Wie muss die Zuwanderungspolitik aussehen, um diese Anforderungen zu erfüllen?

Portfoliokonstruktion

Die demografische Entwicklung birgt nicht nur das Potenzial enormer wirtschaftlicher Auswirkungen, sie kann auch signifikante Folgen für Kapitalanlagen haben. Für langfristig orientierte Anleger, deren Portfolios mehr als einen Konjunkturzyklus überdauern sollen, spielt die Bevölkerungsdynamik eine wichtige Rolle. Kein Anleger kann genau vorhersagen, wie sich die Finanzmärkte in den kommenden Jahrzehnten entwickeln. Anleger, die die Auswirkungen der Bevölkerungsalterung auf die Märkte verstehen, können jedoch fundiertere Anlageentscheidungen treffen und bessere Portfolios aufbauen. 

Eine Anlageklasse, bei der man die Verbindung zur demografischen Entwicklung vielleicht einfacher erkennt, sind Immobilien.7 Die Nachfrage nach Wohnungen und Eigenheimen hängt von der Altersstruktur einer Gesellschaft und Trends bei der Wohnbevölkerung ab. Die Nachfrage nach Wohnimmobilien wird daher unmittelbarer durch demografische Veränderungen beeinflusst, als dies an anderen Märkten der Fall ist. Mit zunehmendem Alter der Einwohner schrumpft die durchschnittliche Haushaltsgröße und pro Kopf werden mehr kleinere Wohnungen benötigt. Davon können unserer Ansicht nach bestimmte Sektoren profitieren, wie etwa Seniorenwohnanlagen. Andererseits kann eine schrumpfende Bevölkerung auch nachteilig für den Wohnungsmarkt sein, denn leere Gebäude werden in der Regel nicht abgerissen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wird die Weltbevölkerung in den kommenden 60 Jahren zwar voraussichtlich weiter wachsen, doch Ländern mit schrumpfender Bevölkerung wie Japan stehen unter Umständen strukturelle Herausforderungen am Wohnungsmarkt bevor. Auch die Infrastruktur, sprich: Straßen, Abfallentsorgung, digitale Technologie usw., könnte an die Bedürfnisse alternder Bevölkerungen angepasst werden. 

Bei anderen Finanzanlagen sind die Auswirkungen demografischer Entwicklungen hingegen manchmal nicht so offensichtlich. Laut einer Studie der San Francisco Fed von 2016 wirkt sich der demografische Wandel hauptsächlich über die steigende Lebenserwartung auf die realen Zinsen aus.8 Eine steigende Lebenserwartung geht in der Regel mit niedrigeren Zinsen einher, denn die Menschen rechnen damit, länger im Ruhestand zu sein, und sparen daher mehr. Grundsätzlich kann man aufgrund der älter werdenden Weltbevölkerung davon ausgehen, dass die Zinsen langfristig eher niedriger sein werden. Unter Umständen ist die dauerhafte Komponente der Zinsen jedoch auch an der Altersstruktur ablesbar. Die jüngste Dynamik deutet auf potenziell höhere Renditen in den nächsten zehn Jahren hin, was mit einem Umfeld höherer Inflation übereinstimmen würde. 

Die Zusammensetzung der Bevölkerung, und vor allem der Menschen im erwerbsfähigen Alter, spielt unserer Ansicht nach ebenfalls eine wichtige Rolle. Dies geht aus einer Publikation des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem Jahr 2015 hervor.9 Zwischen dem Verhältnis der 20- bis 29-Jährigen zu den 40- bis 49-Jährigen und der nominalen Rendite der 10-jährigen Staatsanleihe ist in den USA ein statistisch signifikanter Zusammenhang erkennbar. Zwar können dazu auch viele weitere Faktoren dazu beigetragen haben, doch die Regressionsanalyse deutet auf eine starke Beziehung zwischen den beiden hin.10 Das gilt im Großen und Ganzen auch international.11 In der Regel nehmen Menschen Geld auf, wenn sie jung sind. Im mittleren Alter investieren sie in ihre Altersvorsorge und sparen für das Studium ihrer Kinder. Wenn sie im Ruhestand sind, leben sie von ihrem angelegten Kapital. Unter sonst gleichen Umständen besteht daher eine gewisse Beziehung zwischen den vorherrschenden nominalen Renditen langfristiger Staatsanleihen in Industrieländern und dem Verhältnis junger Menschen, die Geld ausgeben, zu Menschen im mittleren Alter, die sparen. Ist das Verhältnis zwischen den beiden Alterskohorten hoch, besteht ein Nachfrageüberhang nach Konsumgütern seitens der jüngeren Bevölkerung. Dann ist in der Regel die Nachfrage nach Anleihen niedriger und die Renditen sind höher, was die Menschen mittleren Alters zum Sparen animiert. Ist dieses Verhältnis hingegen niedrig, besteht ein Nachfrageüberhang nach Sparen seitens der Menschen mittleren Alters, was dazu führen kann, dass die Kurse von Anleihen steigen und die Renditen fallen.

Altersstruktur birgt eine Erklärung, warum sich die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe mit der Zeit verändertDie Altersstruktur birgt eine Erklärung, warum sich die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe mit der Zeit verändert

Quelle: Vereinte Nationen und Goldman Sachs Asset Management. Stand: 12. Juni 2023. Die im vorliegenden Dokument enthaltenen Konjunktur- und Marktprognosen dienen zu Informationszwecken und gelten zum Datum des vorliegenden Dokuments. Es gibt keine Gewähr dafür, dass die Prognosen auch tatsächlich eintreffen. Die bisherige Wertentwicklung ist kein Indikator für zukünftige Renditen und bietet keine Garantie im Hinblick auf zukünftige Ergebnisse, die Schwankungen unterworfen sein können. Nur zur Veranschaulichung.

Dieses Verhältnis ändert sich mit der Zeit, wenn die verschiedenen Alterskohorten die Bevölkerungsstruktur durchlaufen. In den USA ist dieses Verhältnis gerade erst gestiegen, denn die Babyboomer – Jahrgänge 1946 bis 1964 – gehen in den Ruhestand. Das bedeutet, dass die langfristigen Renditen in den kommenden 10 bis 15 Jahren höher sein könnten. Darüber hinaus ist es möglich, dass das Verhältnis der 20- bis 29-Jährigen zu den 40- bis 49-Jährigen in den USA bis 2050 etwas Abwärtsdruck auf die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe ausübt. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, wenn die Millennials – Jahrgänge 1981 bis 1996 – in den Ruhestand gehen, könnten die Zinsen aber wieder steigen.

Zusammensetzung der Bevölkerung kann stark schwanken, während Alterskohorten die Bevölkerungsstruktur durchlaufenZusammensetzung der Bevölkerung kann stark schwanken, während Alterskohorten die Bevölkerungsstruktur durchlaufen

Quelle: Vereinte Nationen und Goldman Sachs Asset Management. Stand: 14. Juni 2023. Das Jahr, in dem sie 65 werden, ist oben auf der Linie markiert. Die im vorliegenden Dokument enthaltenen Konjunktur- und Marktprognosen dienen zu Informationszwecken und gelten zum Datum des vorliegenden Dokuments. Es gibt keine Gewähr dafür, dass die Prognosen auch tatsächlich eintreffen. Die bisherige Wertentwicklung ist kein Indikator für zukünftige Renditen und bietet keine Garantie im Hinblick auf zukünftige Ergebnisse, die Schwankungen unterworfen sein können. Nur zur Veranschaulichung.

Bei Aktien besteht in der Regel ein inverses Verhältnis zwischen der Risikoprämie und dem vorherrschenden Zinsniveau. Die Risikoprämie bei Aktien ist nämlich als Differenz zwischen der erwarteten Aktienrendite und der geschätzten erwarteten Rendite auf risikolose Anleihen definiert. Daher gehen wir davon aus, dass die Risikoprämie bei Aktien einem ähnlichen, aber entgegengesetzten Muster wie die Anleiherenditen folgen wird. Mit anderen Worten: Zumindest in den USA wird die Risikoprämie bei Aktien in den kommenden 10 bis 15 Jahren voraussichtlich fallen, während die Anleiherenditen steigen und Anleihen sich zu einer attraktiven Investmentalternative zu Aktien entwickeln. Danach kann die Risikoprämie bei Aktien bis 2050 steigen, während die Anleiherenditen fallen, und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wieder fallen, während die Anleiherenditen nach oben tendieren. In jedem Land wird das vermutlich etwas anders ablaufen. 

Eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung kann auch die Aktienbewertungen belasten. Einfach ausgedrückt brauchen Unternehmen Wirtschaftswachstum, um sich erfolgreich zu entwickeln. Ein Anstieg bei der Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter trägt direkt zu diesem Wachstum bei. Wenn die Erwerbsbevölkerung schrumpft, kann Stagnation eintreten. Für Firmen wird es schwieriger, ihre Umsätze und Gewinne zu steigern.  

Allerdings kann der demografische Wandel auch attraktive Investmentmöglichkeiten schaffen. Unternehmen, die beispielsweise Gesundheitsdienstleistungen für ältere Menschen anbieten oder die sich an diese neuen Konsumtrends anpassen können, werden voraussichtlich profitieren. Außerdem kann die erwartete Reduzierung des Arbeitskräfteangebots zu einer beschleunigten Einführung neuer Technologien wie künstlicher Intelligenz führen. Das kommt unter Umständen Firmen zugute, die den Einsatz dieser Technologien ermöglichen und anderen bei der Einführung helfen. Wir sehen dort Chancen, wo Wagnis- oder Wachstumskapital frühzeitig in diese Trends investiert wird. 

Generell müssen Portfolios in Zukunft wohl anders aufgebaut werden. In den nächsten 10 bis 15 Jahren werden in den Industrieländern die Anleiherenditen möglicherweise höher und die Risikoprämien niedriger sein. Danach wird es jedoch sehr darauf ankommen, wie sich das Verhältnis der jungen Menschen zu den Menschen mittleren Alters entwickelt, was wiederum von der Wirtschaftspolitik und den Zuwanderungstrends abhängen könnte. Durch eine Anhebung des Renteneintrittsalters beispielsweise kann sich das Verhältnis zwischen Menschen, die ihr Geld ausgeben, und Menschen, die sparen, verändern. Werden hingegen die Inflationsziele angehoben, um den potenziell inflationstreibenden Auswirkungen ungünstiger demografischer Veränderungen Rechnung zu tragen, kann das einschneidende Folgen für den Portfolioaufbau haben. (Mit dem Szenario eines höheren Inflationsregimes befassten wir uns in Ist 3 % das neue 2 %?). 

Auch Länder mit relativ ähnlicher Alterung können unterschiedliche Dynamiken bei den Vermögenspreisen aufweisen. Außerdem stellen Unternehmen, deren Produkte, Dienstleistungen und Technologien wesentlich und positiv vom Konsumverhalten beeinflusst werden, eventuell attraktive langfristige Anlagegelegenheiten dar. Und zu guter Letzt haben auch viele Schwellenländer ein positiveres demografisches Profil als Industrieländer und können attraktive Diversifikationsmöglichkeiten für Anleger bieten, die von einer alternden Bevölkerungsdynamik betroffen sind. Wir sind daher überzeugt, dass diese Trends beim Aufbau von Portfolios berücksichtigt werden sollten.

 

1 Ein Lewis-Wendepunkt ist eine wirtschaftliche Entwicklung, bei der ein Überhang an billigen Arbeitskräften vollständig absorbiert wird und ein Arbeitskräftemangel entsteht. Dadurch kann wiederum Aufwärtsdruck auf die Löhne, den Konsum und die Inflationsraten entstehen.   

2 Vereinte Nationen. Stand: 24. April 2023.   

3 Federal Reserve Bank of San Francisco, „Labor Force Participation and the Prospects for U.S. Growth“ (Erwerbsbeteiligung und die Aussichten für das Wachstum in den USA). Stand: 2. November 2007. 

4 Goldman Sachs Global Investment Research, „The Potentially Large Effects of Artificial Intelligence on Economic Growth“ (Die potenziell starken Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz auf das Wirtschaftswachstum). Stand: 23. März 2023. 

5 Office for Budget Responsibility von Großbritannien, „Fiscal risks and sustainability – CP 702” (Fiskalische Risiken und Nachhaltigkeit) Stand: Juli 2022.   

6 Financial Times, „France hit by more protests against pension reform“ (Noch mehr Proteste in Frankreich gegen Rentenreform). Stand: 6. April 2023.   

Gevorgyan, K. (2.019). Do demographic changes affect house prices? (Wirkt sich der demografische Wandel auf die Eigenheimpreise aus?) Journal of Demographic Economics, 85(4), 305-320.    

8 Federal Reserve Bank of San Francisco, „Demographics and Real Interest Rates: Inspecting the Mechanism“ (Demografie und reale Zinsen: eine Analyse des Mechanismus). Stand: März 2016.   

9 Internationaler Währungsfonds, „Demographics and The Behavior of Interest Rates*“ (Demografie und das Verhalten der Zinssätze*) Stand: Juni 2015.   

10 Goldman Sachs Asset Management. Stand: Juni 2023.  

11 Internationaler Währungsfonds, „Demographics and The Behavior of Interest Rates*“ (Demografie und das Verhalten der Zinssätze*) Stand: Juni 2015.

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