Kräfte des Wandels: Investments in einer Welt zyklischer und struktureller Faktoren

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Neill Nuttall
Co-CIO of Multi-Asset Solutions
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Alexandra Wilson-Elizondo
Co-CIO of Multi-Asset Solutions
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Amy Yifan Zhou
Investment Center Director, Multi-Asset Solutions
Perspektiven
Dieser Artikel ist Teil unserer Perspektiven Serie
Wichtige Erkenntnisse
1
Eine Mischung aus zyklischen Fluktuationen und strukturellen Kräften bestimmt, wohin sich Volkswirtschaften und Märkte bewegen. Diese Faktoren können wichtige Anhaltspunkte für gute Anlageentscheidungen sein.
2
Um langfristig erfolgreich zu sein, sollten Anleger Gelegenheiten zur Positionierung ihrer Portfolios in Übereinstimmung mit strukturellen Veränderungen wie höheren Zinssätzen in den kommenden Konjunkturzyklen und disruptiven Megatrends wahrnehmen.
3
Es ist unwahrscheinlich, dass die Entwicklung hin zu einem neuen strukturellen Paradigma in einer geraden Linie erfolgt. Wir erwarten, dass in einem dynamischen Umfeld Flexibilität bei Investments und ein höherer Schwerpunkt auf Risiko erforderlich sein werden.

Zyklische Fluktuationen und strukturelle Triebkräfte verändern Volkswirtschaften, Märkte und die Art und Weise, wie wir investieren. Auf dem diesjährigen Jackson Hole Economic Symposium wies Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), darauf hin, dass Klarheit, Flexibilität und Bescheidenheit gleichermaßen wichtige Merkmale einer robusten Politikgestaltung in Zeiten voller Veränderungen und Umbrüche sind.1 Unserer Ansicht nach sind diese Prinzipien auch der Schlüssel zu umsichtigem Investmentmanagement in einer hochdynamischen Welt. Länger anhaltende Paradigmenwechsel wie strukturell höhere Zinssätze und disruptive Megatrends können eine Neubewertung von Portfoliothemen und Asset-Allokationen empfehlenswert machen. In kurzfristigeren Fluktuationen der Konjunkturzyklen kann Flexibilität und Schnelle erforderlich sein, um von Chancen zu profitieren. Wenn Anleger diese Einflussfaktoren identifizieren, können sie wichtige Bezugspunkte für erfolgreiche Entscheidungen und Positionen erhalten. 

Der zyklische, strukturelle und langfristige Ausblick

Ein möglicher Ausgangspunkt für Anleger könnte sein, den Ausblick für die Geldpolitik zu beurteilen. Diese gilt als „neutral“ und damit weder als stimulierend noch als einschränkend für die Wirtschaft, wenn der Leitzinssatz mit der Summe aus Inflationsziel und dem sogenannten „R-Star“, dem natürlichen Realzins, übereinstimmt. Die Federal Reserve Bank of New York schätzt den R-Star-Zinssatz für die USA derzeit anhand des Holston-Laubach-Williams-Modells auf rund 0,5 %, gegenüber beinahe 4 % im Jahr 2000 und noch höheren Werten in den 1960er Jahren. Andere Studien haben auf ähnliche Abwärtstrends in den vergangenen Jahrzehnten hingewiesen.2 Der Grund hierfür könnten strukturelle Faktoren wie die alternde Bevölkerung, eine Sparschwemme und Produktivitätsrückgänge sein. Auch, wenn es schwierig ist, die Entwicklung des R-Star vorherzusagen, sind wir der Ansicht, dass einige Umbrüche in diesen Faktoren erwähnenswert sind.

Wir erwarten, dass höhere Haushaltsdefizite und staatliche Schuldenstände, einschließlich der US-Staatsverschuldung, zu stärkerer Nachfrage nach Spareinlagen und potenziell höheren Zinsen führen. Die Digitalisierung von immer mehr Aktivitäten in allen Branchen und das Aufkommen generativer künstlicher Intelligenz (KI) könnten zudem zu einem Produktivitätsanstieg führen. In Kombination mit Deglobalisierungstrends verändern sich hierdurch die Handlungsspielräume von Zentralbanken im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten. Diese strukturellen Veränderungen deuten darauf hin, dass das mittlere Zinsniveau in den kommenden Konjunkturzyklen höher liegen könnte, was potenzielle Auswirkungen auf Aktien- und Anleiheportfolios mit sich bringt. 

Gegenüber den letzten Jahrzehnten könnten Veränderungen struktureller Faktoren zu einem höheren natürlichen Realzins (R-Star) in den USA führen.Natürlicher Realzins in den USA

Quelle: Federal Reserve Bank of New York, Haver Analytics. Daten von 1Q/1961 bis 2Q/2023. Die schattierten Bereiche markieren Zeiträume, die das National Bureau of Economic Research als Rezessionen bezeichnet. 

Strukturell höhere Zinssätze, negative Effekte auf anhaltende Inflation und Höhere Verschuldungsstände könnten das US-Wirtschaftswachstum langfristig belasten. Zudem könnte es laut akademischen Studien, die in Jackson Hole präsentiert wurden, schwierig sein, die Faktoren aufrechtzuerhalten, die in den vergangenen Jahrzehnten zum Wachstum beigetragen haben, beispielsweise mehr Investitionen in Ideen und signifikante Steigerungen des Bildungsniveaus.3 Dies könnte wiederum zu schwächeren Wachstumsraten in der Zukunft führen. Auf der anderen Seite könnten zugrundeliegende Veränderungen in der Sektorzusammensetzung (z. B. mehr Dienstleistungen, weniger Fertigung) und ein hoher Anteil festverzinslicher Hypotheken auf dem US-Wohnimmobilienmarkt bedeuten, dass die US-Wirtschaft widerstandsfähiger gegenüber höheren Zinssätzen geworden ist. Und zyklische Faktoren wie nachlassender Druck auf die Lieferkette und abnehmende Lagerbestände waren nach der Pandemie Teil der Wiedernormalisierung. Diese Entwicklungen könnten zu einer Zunahme der Aktivität beitragen und den gegenwärtigen, späten Wirtschaftszyklus verlängern. Insgesamt ist es also umso schwieriger, die Wachstumsaussichten zu beurteilen, da zyklische und strukturelle Faktoren sich zumindest kurzfristig teilweise ausgleichen.

Am Beispiel Japans zeigt sich, dass strukturelle Trends nicht immer globale Trends sein müssen. Das Land befindet sich am Beginn eines neuen wirtschaftlichen Aufbruchs, der durch einen ungewohnten, aber wünschenswerten Zyklus steigender Preise und Löhne gekennzeichnet ist. Japans schrumpfende und alternde Bevölkerung könnte in den kommenden Jahren potenziell entweder zu Inflation oder zu Deflation führen. Was davon es sein wird, dürfte davon abhängen, wie gut das Land die Teilnahme seiner Bevölkerung am Arbeitsmarkt steigern kann, und von der Interaktion demografischer Zahlen mit anderen strukturellen Kräften wie Deglobalisierung und Digitalisierung. Wir erwarten zudem, dass die Reformen des japanischen Unternehmenssektors langfristige Gewinner und Verlierer schaffen werden, da manche Unternehmen von ihnen profitieren und ihre Wachstumsraten steigern können werden, während andere zurückfallen. Wir gehen davon aus, dass Anleger, die sich auf Unternehmen mit langfristigem Wachstumspotenzial und Reformwillen konzentrieren, von dieser Veränderung profitieren werden.

Dekarbonisierung ist ein weiterer struktureller Trend, dessen Auswirkungen nicht nur Volkswirtschaften und Branchen betreffen, sondern die zukünftige Gesundheit des ganzen Planeten. Die nachhaltige Transformation schafft sowohl neue Risiken als auch neue Chancen für Anleger. Die Anreize des US Inflation Reduction Act (US IRA) für saubere Energie haben unter Unternehmen die Bekanntgabe vielfältiger Investitionen ausgelöst, und weitere sollen folgen.4 Auf der anderen Seite des Atlantiks unterstützt der RePowerEU-Plan der Europäischen Union das Wachstum von Investitionen in saubere Energie und die Diversifikation der europäischen Energieversorgung. Andere Länder wie China und Indien könnten in Zukunft ebenfalls ihre bisherigen Klimaanreize verstärken. Ein weniger vorhersehbares, aber dafür wettbewerbsintensiveres geopolitisches Umfeld könnte auch einen Fokus auf kurzfristige Fluktuationen der weltweiten Klimapolitik und ihren potenziellen Auswirkungen auf die Rohstoffpreise erforderlich machen.

Schlussfolgerungen für Investments

In einer Welt mit potenziell höheren Zinssätzen und langsamerem Wachstum müssten langfristige Annahmen über den Kapitalmarkt möglicherweise neu bewertet werden, was zu Umbrüchen in der langfristigen Asset-Allokation führen könnte. Es ist unwahrscheinlich, dass die Entwicklung hin zu einem neuen strukturellen Paradigma in einer geraden Linie vonstattengeht. Beispielsweise haben mit den steigenden Zinssätzen auch Bedenken über die Nachhaltigkeit von finanzpolitischen Zielen zugenommen. Unternehmen sehen sich mit höheren Kapitalkosten konfrontiert, was für diejenigen unter ihnen mit einer schwächeren Bilanz das Ausfallrisiko erhöht. Gelegenheiten zur Alpha-Generierung könnten nicht nur globaler werden – um Alpha zu generieren, müssen Anleger möglicherweise auch zunehmend einen Bottom-up-Ansatz verfolgen und sich an der Rentabilität orientieren. Strukturell höhere Zinssätze könnten auch die Dynamik an den Private Markets verändern. Die Renditen aus Private Credit-Investments werden zunehmend attraktiver. Auch Private Equity entwickelt sich weiter, und in dieser neuen Situation könnten Hebel zur operativen Wertsteigerung zum bestimmenden Erfolgsfaktor werden.

Wenn Anleger ihre Portfolios an ein Umfeld strukturell höherer Zinssätze anpassen, könnte es sich unserer Ansicht nach langfristig auszahlen, bei mächtigen Megatrends richtig positioniert zu sein. Um allerdings von den besten Gelegenheiten profitieren zu können, ist ein Verständnis der Komplexitäten langfristiger Wachstumsthemen und bestimmter Branchen erforderlich – als Beispiel seien die potenziell transformativen Auswirkungen von KI auf Gesundheitswesen und Life Sciences genannt. Eine Konzentration auf Nuancen in bestimmten Märkten und Ländern kann ebenfalls hilfreich sein, um langfristige Chancen zu erkennen. Beispielsweise erwarten wir, dass Japans wiederbelebte Wirtschaft und seine Reformen im Unternehmenssektor in den kommenden Jahren Gewinner und Verlierer schaffen werden. Weitere gute Gelegenheiten könnten sich auf dem Markt für Büroimmobilien ergeben, wo manche Assets gut aufgestellt sind, um potenziell von demografischen Veränderungen und Nachhaltigkeitstrends zu profitieren, während andere leer ausgehen.

In einer unsicheren Welt voller zyklischer und struktureller Veränderungen müssen möglicherweise auch Anlagestrategien überdacht werden. Ein Umfeld der Abweichung, Differenzierung und Volatilität erfordert unserer Meinung nach möglicherweise einen aktiveren und diversifizierteren Investmentansatz auf den Public und Private Markets.  Langfristiger Erfolg mag sich durch die Kombination von Kreativität mit dem Mut, Konventionen zu hinterfragen, ergeben, basiert aber auch auf der fundierten Erfahrung aus vergangenen Marktzyklen. Wir schließen uns der Analogie von US-Notenbankchef Jerome Powell an, der davon sprach, „bei bewölktem Himmel nach den Sternen [zu] navigieren“.5 In einer dynamischen Welt ist es unrealistisch, präzise Zukunftsprognosen zu treffen. Umso wichtiger ist es, ein breites Spektrum möglicher Zukunftsszenarien zu berücksichtigen und sich einen erweiterten Werkzeugkasten mit den nötigen Instrumenten aufzubauen, um Risiken verwalten und Chancen ergreifen zu können.

 

1 Europäische Zentralbank. Stand: 25. August 2023.

2 Internationaler Währungsfonds. World Economic Outlook. Stand: 11. April 2023.

3 The Outlook for Long-Term Economic Growth (Der Ausblick für langfristiges Wirtschaftswachstum), Charles I. Jones. Stand: 29. August 2023.

4 US-Finanzministerium. Der Inflation Reduction Act (IRA) soll privates Kapital mobilisieren, um die US-Klimaziele zu erreichen und das langfristige Wachstum zu unterstützen. Stand: 16. August 2023.

5 US-Notenbank. Stand: 25. August 2023.

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