Disruptive Technologie

Die Kraft von KI nutzen um Anlageentscheidungen zu verbessern

2. Dezember 2024 | 8 Minuten Lesezeit
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Hania Schmidt
Global Co-Head of Client Portfolio Management, Quantitative Investment Strategies
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Joseph Kogan
Senior Alpha Researcher, Quantitative Investment Strategies
Wichtige Erkenntnisse
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Neue Datensätze nutzen
Durch den Aufstieg der Künstlichen Intelligenz (KI) erhalten Anleger leistungsstarke Werkzeuge für die Verarbeitung größerer, weniger strukturierter und komplexerer Datensätze. Daraus lassen sich umsetzbare Erkenntnisse gewinnen, die zu besseren Anlageentscheidungen führen.
2
Datenstrategie und Data Scientists
Zunächst erfordert die effiziente Nutzung der KI eine Strategie für die Beschaffung, Bereinigung und Verarbeitung von Daten, die dann in ein kohärentes System integriert werden. Ebenso wichtig sind Data Scientists, die innovative Hypothesen entwickeln, um die Effektivität von KI-Techniken zu steigern.
3
Ein Gesamtbild entwickeln
Mit einem Investmentansatz, der traditionelle Finanzkennzahlen mit innovativen, KI-gestützten Analysen neuer Datensätze kombiniert, können Anleger Unternehmen besser verstehen und das Potenzial großer Datenmengen erschließen.

Das Ziel aktiver, datengesteuerter Investmentstrategien ist es, einen Informationsvorsprung zu erzielen: mehr wissen, klarer sehen und schneller handeln als andere Marktteilnehmer. Dazu gehört, wichtige Informationen zu erkennen, zu interpretieren und darauf zu reagieren, bevor sie am Markt vollständig eingepreist sind. Traditionell stützten sich datenorientierte Anleger weitgehend auf quantitative und strukturierte Informationen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis, um die Qualität und Bewertung von Unternehmen zu beurteilen. Marktdaten wie die Kursentwicklung und das Handelsvolumen zogen sie ebenfalls heran. Seit einigen Jahren stehen ihnen auch strukturierte Datensätze wie Informationen über Versanddetails, Internetverkehr und Kreditkartentransaktionen zur Verfügung.

Diese Metriken sind zwar immer noch von Bedeutung, aber der Prozess der Anlageentscheidung hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt und beschleunigt – nicht zuletzt durch die Nutzung der Künstlichen Intelligenz (KI). Mehr denn je haben datenorientierte Anleger heute Zugang zu größeren, unstrukturierten und komplexeren Datensätzen. Dazu zählen nichttraditionelle Quellen wie Nachrichtenartikel, regulatorische Berichte und Patentanmeldungen sowie Niederschriften und Audioaufnahmen von Telekonferenzen zu den Finanzergebnissen. Ihre Analyse erfordert neue Ansätze, um umsetzbare Erkenntnisse zu gewinnen. Dank der Fortschritte in der KI haben Anleger nun leistungsfähigere Werkzeuge, um diese nuancierten und unkonventionellen Datensätze zu verarbeiten. So können sie Alpha-Signale entwickeln und fundiertere Entscheidungen treffen.

Eine effektive Nutzung der KI erfordert mehr als nur die richtige Technologie. Auch skalierbare Speicherlösungen sowie CPU- und GPU-Cluster gehören dazu. Ein KI-basierter Investmentprozess braucht eine durchdachte Strategie für das Einholen von Daten, die aufschlussreiche Erkenntnisse liefern können. Diese Daten müssen außerdem bereinigt und in ein kohärentes System integriert werden. Mit anderen Worten: Eine wirkungsvolle und skalierbare KI-Strategie basiert auf einer soliden Datenstrategie, die in der Unternehmenskultur und -philosophie verankert ist.

Mit dem Aufstieg der KI-Technologie haben die Menschen, die sie nutzen, keineswegs an Bedeutung verloren. Ganz im Gegenteil: Um das Potenzial von Big Data und KI auszuschöpfen, sind Data Scientists entscheidend, die hochwertige Hypothesen formulieren und neue Ideen vorantreiben können. Sie müssen wissen, welche Methoden und Techniken die differenziertesten Erkenntnisse aus den verfügbaren Daten liefern. Außerdem müssen sie diese Erkenntnisse effizient in konkrete Aufgaben umsetzen können.

Beide Elemente – eine robuste Datenstrategie und innovative Data Scientists – sind für eine aktive, datengesteuerte Investmentstrategie essenziell. In diesem Artikel stützen wir uns auf die Erfahrungen des Quantitative Investment Strategies (QIS) Teams von Goldman Sachs Asset Management, um diese beiden Komponenten und die Lösungen, die sie anstreben, zu erörtern.

Strategie und Wissenschaft

Richtig eingesetzt kann die KI Anlegern helfen, nützliche Erkenntnisse aus komplexen unstrukturierten und bisher schwer zu verarbeitenden Datensätzen zu gewinnen. Daten sind die Grundlage dieses Prozesses.

Eine umfassende Strategie für das Einholen und Verarbeiten von Datensätzen sollte Anlegern das größtmögliche Potenzial für aufschlussreiche Erkenntnisse eröffnen. Solch eine Strategie deckt Aspekte wie Datenqualität, Dateninfrastruktur, Governance, Tests, Implementierung und Überwachung ab. Ebenso entscheidend sind kompetente Data Scientists.

Datenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mit Erfahrung an der Schnittstelle von Daten und KI sind besser in der Lage, die richtigen Modelle auszuwählen. Sie müssen in den verfügbaren Datensätzen enthaltene Verzerrungen erkennen und mindern können. Werden solche Biases nicht erkannt, verstärken sie sich während des Trainings eines KI-Modells eventuell noch. Data Scientists müssen bei der Evaluierung von KI-Tools Komplexität, Transparenz und Interpretierbarkeit gegeneinander abwägen. Erfahrene Fachleute, die mit den Stärken und Schwächen von KI-Techniken vertraut sind, können die richtigen Datensätze und Modelle für die Ziele eines Projekts auswählen.

Von einem generativen KI-Modell Aktienrenditen vorhersagen oder Kauf- und Verkaufsempfehlungen abgeben zu lassen, reicht nicht aus. KI-Techniken sollten als Werkzeuge betrachtet werden, mit denen bei der Analyse von Investments Hypothesen entwickelt und geprüft werden. Der wahre Nutzen liegt in der Fähigkeit von Menschen, hochwertige Hypothesen und innovative Ideen zu generieren, die auf dynamische Datensätze angewendet werden und langfristig einen Wettbewerbsvorteil schaffen.

Audio-Analyse

Ein Beispiel einer produktiven Hypothese, für die KI-Modelle effizient eingesetzt werden können: Unser QIS-Team ist der Meinung, dass sich aus der Stimmung von Führungskräften bei Telekonferenzen zu den Finanzergebnissen Hinweise auf die zukünftige Entwicklung von Unternehmen ableiten lassen. Diese Manager wissen in der Regel ganz genau, welche Aussichten für ihre Unternehmen bestehen. Wie sie sich verhalten und äußern, kann auf Veränderungen in ihrem Denken hindeuten.

Seit mehr als einem Jahrzehnt validiert das QIS-Team diese Hypothese anhand verschiedener Techniken und setzt sie als Investmentstrategie um. Mithilfe von NLP-Tools wie dem Bidirectional Encoder Representations from Transformers (BERT)1 bewertet das QIS-Team Niederschriften von Telefonkonferenzen, um an den Äußerungen von Führungskräften Stimmungen zu erkennen. Seit 2023 achten wir zusätzlich noch darauf, wie etwas gesagt wird.

Die Daten für diese Analyse stammen aus den Audioaufzeichnungen der Telefonkonferenzen. Anhand audiobasierter Analysen können wir emotionale Nuancen in dem Gesagten, Veränderungen im Tonfall und Betonungen erfassen. In einer Niederschrift lassen sich diese Aspekte nur schwer ablesen. Besonders in den Frage-und-Antwort-Runden der Telefonkonferenzen finden wir eine Fülle dieser zusätzlichen Informationen, denn die Äußerungen erfolgen spontan und unvorbereitet. Mit Deep-Learning2-Techniken können die Rohdaten der Audioaufnahmen auf eine Vielzahl von Merkmalen analysiert werden. Dazu werden Indikatoren wie Mehrdeutigkeit, emotionale Tonalität oder ausweichendes Verhalten herangezogen. Menschliche Analysten können durchaus eine ähnliche Aufgabe ausführen. Erst mit der KI ist es jedoch möglich, Audiodaten aus Tausenden von Präsentationen effizient zu verarbeiten und dabei menschliche Fehleinschätzungen zu minimieren. Unser QIS-Team hat beispielsweise Zugriff auf mehr als 400.000 Stunden Audiomaterial aus Telekonferenzen.

Audioaufnahmen bergen jedoch auch Herausforderungen, die bei der Analyse von Texten nicht auftreten. Sie enthalten oft Pausen, Hintergrundgeräusche oder Musik. Bei den Sprechenden gibt es Unterschiede in der Ausdrucksstärke oder dem Akzent. Manche sprechen nicht in ihrer Muttersprache. Aufgrund dieser Komplexität arbeitet unser QIS-Team mit Rohdaten, die wir selbst bereinigen. So können wir wichtige Nuancen bewahren. Wir vergleichen das Gesagte mit dem individuellen Stimmprofil von Sprechenden, um eine einheitliche Vergleichsbasis zu erhalten. Die Ergebnisse der Deep-Learning-Modelle können dann genutzt werden, um ein robusteres Alpha-Signal zu generieren.

Vor- und nachlaufende Effekte

Ein weiteres Beispiel für eine produktive Hypothese ist, dass vor- und nachlaufende Effekte unter Aktien indirekt durch den Einfluss gemeinsamer Themen entstehen. Wenn wir diese Themen und ihren Einfluss auf eine Aktie schnell und richtig erkennen, können wir von entstehenden Trends früh profitieren.

Mit NLP-Techniken wie Embedding-Modellen lassen sich diese Themen in textbasierten Datensätzen wie Patentanmeldungen, Pressemitteilungen, Nachrichtenbeiträgen und Berichten von Sellside-Analysten systematisch erkennen.3 Die Themen helfen uns, die Entwicklung von Unternehmen zu verfolgen und thematische Trends und Dynamiken zu nutzen. Das QIS-Team analysiert jährlich über 290.000 Analystenberichte, 2 Millionen Nachrichtenartikel und 50 Millionen Patente.

Nehmen wir zum Beispiel Nachrichten. Unser QIS-Team geht davon aus, dass Unternehmen, die häufig in denselben Nachrichtenbeiträgen erwähnt werden, eine wirtschaftliche Verbindung aufweisen. Reagieren Anleger nicht ausreichend auf diese Verbindungen, kann es zu Vor- und Nachlaufeffekten auf die Aktienrenditen kommen. Mit KI-gestützten Analysen prüfen wir die riesigen Nachrichtenmengen, die wir täglich überwachen, auf diese Hypothese. Dabei erkennen wir die Verknüpfungen zwischen tausenden von Aktien. So können wir die möglichen Auswirkungen von Marktereignissen auf die Aktienrenditen bestimmen.

Der unaufhörliche Strom neuer Informationen mag traditionelle Analysemethoden überfordern. Mit einem quantitativen, datengesteuerten Ansatz, der KI-Modelle einsetzt, verstehen wir hingegen, welche direkten und indirekten Auswirkungen ein globales Ereignis unter Umständen verursacht. Ein Beispiel: Eine Unterbrechung der Erdgasversorgung kann die Düngemittelpreise in die Höhe treiben und letztendlich zu einem Anstieg der globalen Lebensmittelpreise führen. In einem solchen Szenario können unsere Modelle die davon betroffenen Unternehmen innerhalb dieser Verknüpfungen identifizieren.

Ein Gesamtbild

Die rasante Entwicklung von KI-Techniken gibt Anlegern leistungsstarke Werkzeuge an die Hand, um Unternehmen zu beurteilen und Risiken zu steuern. Neben traditionellen Daten wie Geschäftsberichten können nun auch riesige, komplexe und weniger strukturierte Datensätze genutzt werden, um zusätzliche Einflüsse auf den zukünftigen Wert eines Unternehmens zu erkennen. Ohne den Menschen würde dieser Prozess jedoch nicht funktionieren. Zunächst braucht man eine Strategie für die Beschaffung, Bereinigung und Verarbeitung von Daten. Dabei sind Data Scientists entscheidend. Sie entwickeln neue Hypothesen, um KI-Techniken so effektiv wie möglich zu nutzen, zu überwachen und zu verbessern. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden von ihnen interpretiert. Mit der Kraft der KI erhalten Anleger ein umfassenderes Verständnis von Unternehmen. Dadurch verbessern sich ihre Entscheidungs- und Risikomanagementprozesse.

1  BERT ist ein Deep-Learning-Sprachmodell, das so trainiert werden kann, dass es die Wahrscheinlichkeit einschätzt, ob eine Eingabe eine positive, neutrale oder negative Aussage darstellt.
2  IBM. Deep Learning ist eine Art maschinelles Lernen, das mehrschichtige künstliche neuronale Netze nutzt, um den Entscheidungsprozess des menschlichen Gehirns zu simulieren. Stand: 26. November 2024.
Embedding-Modelle werden verwendet, um Daten in ein numerisches Format umzuwandeln, das von Computern verarbeitet werden kann. Die Modelle können beispielsweise Wörter und Sätze als Vektoren (Zahlenlisten) darstellen. Diese Vektoren erfassen die Bedeutung und Beziehungen zwischen Datenpunkten. Wörter mit ähnlicher Bedeutung werden in eine ähnliche Vektordarstellung umgewandelt.

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