Neue Horizonte: Ein frischer Blick auf die Schwellenländer und China
Anleger in Schwellenländeraktien werden sich 2025 mit einer Vielzahl von Faktoren auseinandersetzen müssen. Von US-Präsident Trump verhängte Handelszölle, geopolitische Spannungen und Chinas makroökonomische Schwierigkeiten sollten genau beobachtet werden. Die Auswirkungen können je nach Markt ganz unterschiedlich ausfallen. Mit einer neuen Perspektive auf die Portfoliokonstruktion können sich Anleger besser auf dieses dynamische Umfeld einstellen. Um auf die vielen Chancen und Risiken richtig zu reagieren, sollten Anleger ihre Allokationen in Schwellenländeraktien einschließlich China gründlich überdenken.
Decoupling und Divergenz
Eine Entkopplung der Schwellenländer von China hat als Thema für die Aktienmarktperformance in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die Märkte bewegen sich nicht mehr im Gleichschritt. Der chinesische Aktienmarkt ist reifer geworden und hat mittlerweile einen großen Anteil am globalen Schwellenländeruniversum. Sein Gewicht im MSCI EM Index beträgt nun 28 %.1 Er weist andere Markttreiber und Wachstumsfaktoren auf. Seit 2020 haben regulatorische Maßnahmen, eine Immobilienkrise, strukturelle Schuldenprobleme und demografische Herausforderungen zu Marktvolatilität und schwachen chinesischen Aktienrenditen geführt. Die Wachstumslücke zwischen den Schwellenländern ohne China und China hat sich daher in den letzten Jahren verringert. In vielen Schwellenländern zieht das Wachstum an. Die chinesische Wirtschaft hingegen verzeichnete schwierigere Konjunkturbedingungen und eine Abschwächung. Dennoch erzielt China immer noch ein stärkeres Wachstum als die Schwellenländer ohne China. Jüngste wirtschaftspolitische Maßnahmen und niedrige Bewertungen unterstreichen jedoch das Potenzial für eine Erholung des chinesischen Aktienmarktes.

Quelle: Bloomberg und Goldman Sachs Asset Management. Stand: 1. November 2024. Gesamtrenditen in USD. Die bisherige Wertentwicklung bietet keine Garantie im Hinblick auf zukünftige Ergebnisse, die Schwankungen unterworfen sein können. Rein illustrativ.
Die Entkopplung zwischen den Aktienmärkten Chinas und der übrigen Schwellenländer könnte aufgrund der US-Handelspolitik weiter zunehmen. China überraschte zum Jahresbeginn 2025 mit positiven Konjunkturdaten. Durch die zuletzt angekündigten US-Handelszölle gegen China (und potenzielle Gegenzölle) birgt der Ausblick jedoch mehr Volatilität und Unsicherheit.2 Chinas Risiko durch Handelszölle ist gemessen am BIP allerdings vergleichsweise gering. Während die USA Chinas größter Exportmarkt sind, machen Chinas Exporte in die USA nur einen kleinen Anteil seines BIPs aus. Außerdem erwirtschaften an chinesischen Börsen notierte Unternehmen nur einen geringen Teil ihrer Umsätze in den USA. Das macht sie weniger anfällig für US-Zölle als Unternehmen aus anderen Schwellenländern, selbst wenn das Risiko von Handelszöllen gegen China höher ist.

Quelle: MSCI, Goldman Sachs Global Investment Research. Stand: 9. Januar 2025.
Mexiko, Taiwan und Südkorea scheinen sowohl aus wirtschaftlicher Sicht als auch mit Blick auf die Aktienmärkte besonders anfällig für breite US-Zölle zu sein. Schwellenländer mit starken mikroökonomischen Fundamentaldaten, günstigen geldpolitischen Rahmenbedingungen und einer höheren Resilienz gegenüber externen Risiken sind hingegen am besten aufgestellt für eine Outperformance. Dazu gehört beispielsweise Indien, dessen vorwiegend binnenwirtschaftlich getriebene Wachstumsstory durch strukturelle Reformen langfristig gestützt wird. Die Unterschiede in der Sensitivität auf Handelszölle unter den Schwellenländern zeigt, wie wichtig Selektivität und aktives Management beim Investieren sind.
Ein neuer Blick auf China- und Schwellenländer-Allokationen
Aus strategischer Sicht gibt es zwei zentrale Gründe, warum es sinnvoll sein kann, China von anderen Schwellenländerallokationen zu trennen: 1. Eine Schwellenländerallokation ohne China ermöglicht eine breitere Alpha-Diversifikation über Märkte mit positiver Wachstumsdynamik und solideren Fundamentaldaten als China. 2. Bestimmte Segmente des chinesischen Aktienmarktes bieten weiterhin Alpha-Potenzial. Mit einer separaten China-Allokation haben Anleger mehr Flexibilität, diese taktischen Marktchancen gezielt zu nutzen und Volatilität besser zu steuern.
Schwellenländerthemen: Friendshoring, Demografie und Markttransformation
Trotz des aktuellen Risikos breiter US-Zölle gegen verschiedene Schwellenländer hat sich der internationale Handel schon in den letzten Jahren grundlegend verändert. Wesentlich dazu beigetragen haben eine globale Pandemie, Russlands Krieg gegen die Ukraine und erhöhte geopolitische Spannungen, etwa der ständige Wettkampf zwischen den USA und China. „Near-“ oder „Friendshoring“ hat dazu geführt, dass Teile der US-Produktion schrittweise von China in andere Länder verlagert werden. Dazu zählen Märkte wie Mexiko, die gleichzeitig unter Zöllen leiden und von Nearshoring profitieren können, als auch zuverlässige Handelspartner wie Indien. China passt seine eigenen Lieferketten an, um steigendem Kostendruck und Handelsspannungen entgegenzuwirken. Das kann wiederum Ländern wie Thailand und Vietnam zugutekommen.
Die Schwellenländer ohne China bilden ein eigenes großes Universum von Unternehmen mit enormen Investmentmöglichkeiten.3 Viele Schwellenländer unterscheiden sich in ihrer Sektor- und Branchenzusammensetzung deutlich von China. Vor allem der höhere Anteil von IT-Aktien birgt Investmentpotenzial angesichts der wachsenden Bedeutung von künstlicher Intelligenz (KI). Märkte wie Taiwan und Südkorea sind außerdem führend in der Halbleiterindustrie. Mit dem weiteren Wachstum der KI werden die Länder, die eine zentrale Rolle in der Herstellung modernster Halbleiter spielen, von einem nachhaltigen Nachfragezyklus profitieren.

Quelle: Goldman Sachs Asset Management, MSCI, Finanzdaten und -analysen von Factset. Stand: 31. Januar 2025. Regionen und ihre Gewichtungen im MSCI EM ex China Index. Die darunter in kleinerer Schrift angegebenen Zahlen zeigen einen Anstieg des Gewichts der jeweiligen Region gegenüber dem MSCI EM Index. Die hervorgehobenen Sektoren weisen darauf hin, wo Anleger in einer Region aus fundamentalanalytischer Sicht attraktive Aktienchancen finden können. Rein illustrativ.
Laut demografischer Entwicklung wird in China die Zahl der Über-60-Jährigen von 300 Millionen im Jahr 2023 auf über 400 Millionen bis 2035 steigen.4 Die rasante Alterung der chinesischen Bevölkerung kann Chinas Wachstum in den kommenden Jahrzehnten dämpfen. Die demografischen Trends in anderen Schwellenländern wie Indien oder dem Nahen Osten hingegen sind deutlich günstiger. Indien gehört mit einem medianen Alter von etwa 28 Jahren zu den jüngsten Volkswirtschaften der Welt und ist zehn Jahre jünger als die USA.5 Eine günstige demografische Entwicklung ist unerlässlich für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum in diesen Ländern, denn sie stützt das Arbeitskräfteangebot und die Produktivität. Je jünger die Bevölkerung, desto länger kann ein überdurchschnittlich hohes Wachstum aufrechterhalten werden.6
In vielen Ländern sind auch Transformationen zu beobachten. Im Nahen Osten beispielsweise unterstützen Länder mit Reformen ihrer Rohstoffwirtschaft die Entwicklung ihrer Finanzdienstleistungs- und Telekommunikationssektoren. Mittelfristig kann der Anteil der MENA-Region am MSCI EM Index durch Kapitalmarktreformen und neue Börsengänge auf rund 10 % steigen. Saudi-Arabien hat in der Region das größte Gewicht im Index.7
China-Themen: Innovation, Urbanisierung und „Old Economy“-Sektoren
Chinas Entwicklung wird 2025 voraussichtlich durch geld- und fiskalpolitische Maßnahmen, strukturellen Wandel sowie Risiken durch Handelszölle und geopolitische Spannungen geprägt. Angesichts dieser Dynamik lohnt sich ein genauerer Blick auf Chancen in den einzelnen Sektoren der chinesischen Wirtschaft.
Die Investitionsausgaben im verarbeitenden Gewerbe blieben 2024 robust. Dazu trugen politische Initiativen zur Modernisierung von Produktionsanlagen, zur Unterstützung der grünen Transformation und technologischer Unabhängigkeit bei. In Sektoren wie Nichteisenmetallurgie und Elektronik zog das Wachstum merklich an.8 Kräftige Investitionen in Industrie und Infrastruktur dürften Chinas Wirtschaft 2025 beflügeln und Schwächen im Immobiliensektor ausgleichen.
Hersteller von Konsumgütern wie Haushaltsgeräten werden 2025 voraussichtlich davon profitieren, dass die Regierung die Binnennachfrage ankurbelt und Inzahlungsnahmeprogramme ausgeweitet werden. Die Automobilbranche dürfte dank staatlicher Subventionen stabil bleiben. Am globalen Markt für Industrieroboter ist China bereits führend und produziert über 70 % der Elektrofahrzeuge.9 Trotz Handelszöllen rechnen wir mit weiter steigenden Marktanteilen.
Halbleiter-, Hardware- und Software-Unternehmen in China profitieren möglicherweise weiter vom Lokalisierungsfokus und technologischer Unabhängigkeit angesichts der weltweit anziehenden KI-Konkurrenz. Urbanisierung, technologische Modernisierung und Anreize für Inzahlungsnahmeprogramme kurbeln die Inlandsnachfrage voraussichtlich weiter an. Durch Konsolidierung und Reformen von „Old Economy“-Sektoren wie Energie, Versorger und Kommunikationsdienstleistungen soll die Wettbewerbsfähigkeit staatlicher Unternehmen gesteigert werden. Dabei entstehen Investmentmöglichkeiten für Anleger bei defensiven Unternehmen mit hohen Dividendenrenditen.
Wie viel in China investieren?
Will man eine Aktienallokation in China getrennt von den Schwellenländern aufbauen, stellt sich eine schwierige Frage: Wie hoch sollen diese Allokationen sein? Die Antwort kann je nach den individuellen Anlagezielen und den Präferenzen jedes Anlegers ganz unterschiedlich ausfallen. Auch die Risikobereitschaft und die Fähigkeit, ein separates China-Engagement zu verwalten, spielen eine Rolle. Die richtige Allokation wird sich außerdem im Lauf der Zeit beträchtlich ändern. Im vergangenen Jahr hätte ein hoher Anteil von China-Aktien von den staatlichen Konjunkturmaßnahmen profitiert. Über einen Zeitraum von drei, fünf oder zehn Jahren betrachtet hätte die gleiche Allokation aber deutlich schlechter abgeschnitten.10 Es zahlt sich daher aus, bei der Gewichtung von China-Aktien im Vergleich zu anderen Schwellenländern flexibel und anpassungsfähig zu bleiben. Für benchmarkbewusste Anleger kann auch der Tracking Error ein wichtiger Gesichtspunkt für ihre China-Allokation sein.

Das hervorgehobene Gewicht von 30 % für China ist das durchschnittliche Gewicht des MSCI China Index im MSCI EM Index in den vergangenen 10 Jahren.
Quelle: Bloomberg, Macrobond, MSCI und Goldman Sachs Asset Management. Stand: 13. Januar 2025. Daten vom 31. Dezember 2004 bis zum 31. Dezember 2024. Die Performance-Berechnungen basieren auf Total-Return-Indizes der MSCI IMI (Large-, Mid- und Small-Cap) Indizes für China und die Schwellenländer. EM ex China Total Return Indizes ergeben sich durch Abzug des gewichteten Beitrags des China-Index vom EM-Index. Die Berechnung der Schwellenländer-Aktienallokationen in der Tabelle geht von einem Aktienportfolio mit einer Allokation von 0 bis 100 % in den MSCI China IMI Index und einer Allokation von 100 bis 0 % in den simulierten MSCI EM ex-China IMI Index aus. Die bisherige Wertentwicklung bietet keine Garantie im Hinblick auf zukünftige Ergebnisse, die Schwankungen unterworfen sein können.Diese Beispiele dienen lediglich zur Veranschaulichung. Es handelt sich dabei nicht um tatsächliche Ergebnisse. Falls sich verwendete Annahmen als unzutreffend erweisen, kann eine erhebliche Ergebnisabweichung die Folge sein.
Neue Welt, neues Playbook
In Schwellenländern zu investieren, erfordert mit oder ohne China ein aktives Management, um Marktvolatilität zu steuern und wichtige Investmentthemen zu nutzen. In einem komplexen Umfeld mit geopolitischen Spannungen, Handelszöllen und makroökonomischem Gegenwind in China erscheint eine separate China-Allokation durchaus sinnvoll. Mit solch einem Playbook ist es einfacher, die Einschätzungen der Investmentmöglichkeiten jedes Universums aktiv zu managen. Mit einem Informationsvorteil in dem großen, diversifizierten und relativ wenig analysierten Universum der Schwellenländer ohne China lassen sich unterbewertete Titel leichter identifizieren, um von Fehlbewertungen zu profitieren. China bleibt eine führende Wirtschaftsmacht mit einem breiten und dynamischen Aktienuniversum. Einzigartige Herausforderungen und unbeständige Märkte erfordern jedoch einen Bottom-up-Ansatz, der auf langfristige Qualität ausgerichtet ist.
1 MSCI Emerging Markets Index Factsheet. Stand: 31. Januar 2025.
2 Weißes Haus (.gov), chinesisches Handelsministerium, chinesisches Finanzministerium. Goldman Sachs Global Investment Research; Stand: 4. Februar 2025.
3 Goldman Sachs Asset Management, MSCI, Finanzdaten und -analysen von Factset. Stand: 31. Januar 2025.
4 Economist Intelligence Unit. Stand: Januar 2024.
5 Pew Research Center, Vereinte Nationen. Stand: Dezember 2023.
6 Weltbank. Stand: April 2024.
7 Goldman Sachs Global Investment Research. Stand: 20. Februar 2024.
8 Ministry of Industry and Information Technology (MITT), Goldman Sachs Global Investment Research. Stand: 17. Februar 2025.
9 The China Passenger Car Association, Stand: Oktober 2024.
10 Bloomberg, Macrobond, MSCI und Goldman Sachs Asset Management. Stand: 13. Januar 2025. Siehe Tabelle der Schwellenländer-Aktienallokationen.
